Montag, 27. Oktober 2014

Röntgenlauf Ultra



Die Saison geht zu Ende. Und der erreichte Trainingsstand kann genutzt werden, um noch bei ein paar interessanten Läufen ohne spezielle Zeitvorgaben an den Start zu gehen. Also verbringe ich den 26.10.2014 auf der 63,3 Kilometer langen Runde des Remscheider Röntgenlaufes.
Etwa in der Mitte der Startaufstellung
Der Tag beginnt mit der Entdeckung, dass ich mir auf Mallorca ein Loch in den Schuh gerissen habe. Dabei hatte der lokale Guide meine Schuhwahl noch gelobt. Er selbst laufe auch nur noch Inov-8, da diese Schuhe die einzigen seien, die mehr als drei Läufe auf mallorquinischem Terrain überstehen. Er habe schon alles probiert von Adidas bis Salomon. Offenbar bezog sich die Aussage auf die Sohle, die auch bei meinen Tretern noch wie neu ist. Das Loch habe ich mir aber in den Oberstoff genau neben der Zehenverstärkung gerissen. Und als wäre das noch nicht genug Ärger zum frühen Morgen, habe ich meinen Chip vergessen und muss mir einen leihen.
Die Strecke ist bestens präpariert
Doch an der Startlinie verfliegen alle negativen Gedanken. Trockene, windstille zehn Grad bilden ideale Laufbedingungen. Bewusst verhalten starte ich aus der zweiten Hälfte des Feldes. Ich überhole lieber als überholt zu werden. Auch wenn das heißt, anfangs im Pulk festzustecken. Ich habe mir ohnehin keine Zeitvorgabe gesetzt. Schneller als bei meinem Debüt auf diesem Kurs vor zwei Jahren werde ich sowieso sein. Damals hatte ich fast siebeneinhalb Stunden benötigt. Heute werde ich sicher nach weniger als sieben Stunden im Ziel sein.
Irgendwann rollt es bergab so gut, dass ich mich bei einem Schnitt unter sechs Minuten einpendele. Ehrfürchtig lausche ich zwei Läufern, die von Rennen mit mehr als 400 Kilometer Länge berichten, bevor sie enteilen und am Horizont verschwinden. Dafür kommt ein Mitstreiter ins Visier, der wie ein Pace-Maker unterwegs ist. Denn er trägt ein „4:15“-Schild am Rücken, womit er seine geplante Marathon-Durchgangszeit angibt. Mit einem unguten Gefühl überhole ich ihn. Besser wäre es wohl, dieses Tempo mitzugehen. Immerhin entspräche das einer 6er Pace. Mehr möchte ich mir heute nicht abverlangen.
Eschbachtalsperre
Kurz vor der Halbmarathonmarke hole ich Ralf ein. Wir waren lose für den Lauf verabredet, hatten uns aber im Startbereich aus den Augen verloren. Ab jetzt laufen wir gemeinsam. Nach dem weniger attraktiven ersten Drittel der Strecke, beginnt jetzt das Bergische Land seine Schönheiten zu zeigen. Neben ein paar knackigen Anstiegen gibt es auch bekannte Sehenswürdigkeiten wie Schloss Burg und die Müngstener Brücke zu sehen.
VP mit Burgblick
An einem dieser Anstiege legen wir ein stoffwechselbedingtes Päuschen ein. Dabei zieht der 4:15-Hase mit seinem Gefolge an uns vorbei. Es kostet uns eine gefühlte Ewigkeit, bis wir ihn eingeholt haben. Inzwischen hat er seine Begleiter verloren. Und auch mir fällt es zunehmend schwer sein Tempo zu halten.
Schlange zum Ausschank
In jedem Ultra kommt irgendwann die Krise. Bei mir ist es diesmal schon vor der Marathondistanz so weit. Unsere Geschwindigkeit macht mir Probleme. Und meine Begleiter prügeln noch die meisten der Hügel ungebremst hoch. Doch als wir punktgenau mit 4:15 durchs Marathonziel (wo heute 20% der Ultras vorzeitig abbrechen) laufen, und ich mich an der dortigen Station verpflegt habe, geht es mir schlagartig besser. Verflogen sind alle Zweifel. Das letzte Drittel packe ich jetzt auch noch. Und tatsächlich werden wir jetzt schneller! Natürlich tut es weh, aber der Kopf ist diesmal nicht wund. Auch beschränken sich die körperlichen Unpässlichkeiten heute auf die unteren Extremitäten – keine Magenprobleme, kein Hammermann. Und trotzdem: bei Kilometer 50 frage ich mich, wie ich es im Juli geschafft habe, dieselbe Distanz nochmal anzuhängen. Dreizehn weitere Kilometer liegen jedoch im Bereich des Vorstellbaren. Aber auch die ziehen sich!
An diesem Anstieg geht auch das Spitzenfeld
Ich kann mich kaum an Streckendetails der ersten Teilnahme erinnern. Das liegt vielleicht auch daran, dass der Verlauf an einigen Stellen verändert wurde. Bei Kilometer 60 geht es diesmal scharf nach rechts hinab in einen ruppigen Pfad. Das schmerzt zwar in den Beinen, doch solches Gelände liebe ich! Nur wenige solcher "trailigen" Abschnitte hat dieser Lauf. Als im Wald der finale Anstieg lauert, falle ich aus Gewohnheit wieder in strategisches Gehen. Bis ich mich frage, wofür ich jetzt eigentlich noch Kraft sparen soll. Also laufe ich den Berg hoch und erfahre oben, dass es nur noch 400 Meter bis zum Ziel sind. Diese letzten Meter sind pures Glück!

Rosinenschnecke mit Weißbier – was für eine Kombination! Doch im Ziel erscheint mir diese schwer verdiente Labsal überaus köstlich. Mit 6 Stunden und 22 Minuten war ich mit einer guten 6er Pace unterwegs und über eine Stunde schneller als beim letzten Mal. Das habe ich nicht zuletzt unserem Zugläufer Dirk zu verdanken. Ohne seine konstante Tempovorgabe hätten Ralf und ich uns dieses Tempo heute wohl eher nicht abverlangt.

Zur Belohnung will ich mir diesmal endlich den Aufkleber mit dem „Röntgenmann“ – ein Läufer mit durchscheinendem Skelett – kaufen. Das begehrte Logo des Laufes ist leider schon vergriffen. Da werde ich wohl nächstes Jahr die Strecke nochmal laufen müssen.

Samstag, 25. Oktober 2014

Trailrunning Mallorca - Von Alaro nach Cuber



Ich bin die mallorquinische Hitze nicht gewöhnt. Nachdem ich bei der letzten Tour die Trinkblase komplett geleert hatte und außerdem in einen Hungerast gelaufen war, bin ich diesmal besser präpariert. Nicht nur der Magen, auch die Trinkblase (1,5 l) und zwei Flaschen (á 500 ml) sind gut gefüllt.

Mein lokaler Guide will mich von Alaro in die Bergwelt der Sierra de Tramuntana führen. Gebucht habe ich eine vierstündige Trailtour. Natürlich geht es stets bergauf, zunächst durch terrassiertes Gelände. Dann will mir der Führer einen besonders schönen Trampelpfad zeigen, findet den Einstieg aber nicht. Wir müssen umkehren und folgen stattdessen dem Verlauf einer Wasserleitung. Zunächst hat das Rohr nur einen Durchmesser von etwa zehn Zentimetern. Je näher wir dem Stausee Cuber kommen, desto dicker wird die Röhre. Sie ist teilweise durch Bergtunnel hindurch verlegt, die wir ebenfalls durchqueren. Legt man das Ohr an das inzwischen wohl 80 Zentimeter dicke Rohr, glaubt man in die Hölle hineinhorchen zu können, so brodelt das Wasser darin zu Tal.

Durch den Tunnel der Wasserleitung
Wir lauschen nicht nur in die Hölle, sondern schauen auch zum Himmel. Dort kreisen die Milane, nach denen der Laufverein „Sa Milana“ benannt wurde, in dem mein Begleiter Mitglied ist. Obwohl er seit elf Jahren auf der Insel wohnt, erlebt er gemeinsam mit mir eine Premiere, als neben den Milanen plötzlich zwei Geier am Firmament erscheinen, deren Spannweite er mit drei Metern abschätzt. Umso trauriger stimmt uns das Netz eines Vogeljägers, das wir wenig später passieren.

Zeitweise ist es zu steil zum Laufen, und wir müssen wandern. Doch irgendwann ist es geschafft. Wir sind am Stausee angekommen, der fast genauso ausgetrocknet ist wie unsere Kehlen. Seit vier Monaten habe es hier nicht geregnet. Als nächstes soll mir ein Flugzeugwrack gezeigt werden. Hoppla, das kenne ich doch schon vom Trailcamp im Frühjahr! Spontan ändert der Guide die Route. Leider entpuppt sich dieser Teil der Tour dann nur als die andere Hälfte der mir schon bekannten Runde. Das hat aber auch sein Gutes, denn das Tempo, das der Ortskundige bergab anschlägt, ist beachtlich. In diesem spezifischen Gelände ist jeder Schritt sehr bewusst zu setzen. Mit dadurch fest auf den Boden gehefteten Augen bleibt mir kein Blick für die Landschaft. Macht nichts, die kenne ich ja schon. Heute steht der Laufspaß im Vordergrund.

In der Bergwelt der Sierra de Tramuntana
Am Refugio Tossals Verds, das seit über einem Jahr nicht mehr bewirtschaftet wird, gönnen wir uns eine kurze Rast. Der Raucher misst die Pausendauer in „Zigarettenlängen“. Analog dazu ist es für mich eine „Bananenlänge“. Heute habe ich von Beginn an Powerade, Apfelschorle und Wasser getrunken. Körperliche Beschwerden bleiben dadurch komplett aus. Ganz anders geht es meinem Führer. Beim langen Bergablauf zurück nach Alaro bleibt er mehrfach stehen, um seine Beine zu dehnen. Im Ort führt sein erster Weg zum Supermarkt, wo er eine Cola kauft, die er gierig leert. Leider sind wir schon nach dreieinhalb Stunden dort zurück. Ich hatte doch vier Stunden gebucht!

Heute hätte ich noch ewig weiterlaufen können. Zum einen ist es nicht so warm, wie bei der Tour von Betlem. Zum anderen hat der Guide mich wohl nicht so geschunden, wie ich mich selbst. Wie auch immer, nach der heutigen 25-km-Runde fühle ich mich bestens präpariert für den 63,3 Kilometer langen Röntgenlauf.

Freitag, 24. Oktober 2014

Trailrunning Mallorca - Betlem



Das nenne ich Luxusläuferleben! Schon zum dritten Mal innerhalb von zwölf Monaten kann ich mallorquinische Trails unter die Füße nehmen.

Für meinen ersten größeren Ausflug lasse ich die Familie am Pool und das Auto an der Straße nach Betlem. Von dort starte ich stracks bergauf zur Ermita de Betlem. Als Erstes erreiche ich den alten Waschplatz der Einsiedler und ziehe meine Kappe durchs Wasser. Kühlung ist dringend geboten. Die Sonne brezelt bei etwa 28 Grad. Trotzdem merke ich mir den Abstecher nach S'Alqueria Vella, den hier ein Wanderschild ausweist, als Option für den Rückweg vor.

Nach einem kurzen Stopp an der Ermita finde ich dank GPS-Track den versteckten Einstieg in den überwucherten Trail, der Richtung Gipfel des Bec de Ferrutx führt. Im urwaldartigen Unterholz ist der Pfad kaum auszumachen, und die Bodenbeschaffenheit bleibt ein Geheimnis, bis der Fuß sie ertastet.

"Urwald"
Nachdem Höhe gewonnen ist, wird der Blick auf Berge und Meer frei. Neben diesen Eindrücken erfreut sich mein Gemüt an den Begegnungen mit den vereinzelten Wanderern, die sich in der Gluthitze den Berg hoch schleppen und es kaum fassen können, dass jemand im Laufschritt an ihnen vorbei zieht.

Am Gipfel
Nach kurzer Gipfelrast auf 528 m Höhe kommt der schönste Teil – der Downhill. Fröhlich springe ich gen Tal. So fröhlich, dass mir Laute des Glücks entweichen. Als ich derart jubilierend durch den „Urwald“ presche, verschrecke ich nicht nur das Wild, sondern auch einen Wanderer. Im dichten Bewuchs hatte ich ihn nicht gesehen. Und mein Schrei direkt hinter ihm lässt ihn zur Seite ins Gehölz springen. Ich bin über die Begegnung nicht minder überrascht. Und es ist mir auch ein bisschen peinlich. Und so rufe ich ihm im Weiterfliegen eine Entschuldigung zu.

Bec de Ferrutx, 528 m
Erneut benetze ich Mütze und Körper am Waschplatz, bevor ich jetzt den Abstecher in Angriff nehme. Bisher war ich auf Routen und Tracks aus dem Rother Wanderführer unterwegs gewesen. Jetzt nehme ich Neuland unter den Pflug und stürze mich ins Abenteuer. Kaum hinter der nächsten Wegbiegung verändert sich das Landschaftsbild, und ich bin atemlos. Nicht nur vom bisherigen Lauf, sondern auch von dieser Schönheit. An einem Wegweiser sind ein Rundweg und ein Aussichtspunkt angezeigt. Ich will mal wieder beides!

Eine der Steinmauern auf dem Abstecher
Hätte ich mich doch mit dem Aussichtspunkt begnügt! Gute zwei Stunden bin ich schon unterwegs. Die letzte Mahlzeit war das Frühstück. Und danach hatte ich noch an einem erstaunlich anspruchsvollen, einstündigen Wassergymastik-Programm (als einziger Mann) teilgenommen. Das macht sich jetzt alles bemerkbar. Zu spät schiebe ich am Aussichtspunkt die mitgenommene Banane ein. Der Hungerast lässt sich nicht mehr vermeiden, obwohl ich kurze Zeit später noch ein Gel nachwerfe. In den Socken habe ich Sand. Zusammen mit dem ungewohnt steinigen Untergrund hat er meine Füße zu einer roten, rohen Masse verarbeitet. So fühlt es sich zumindest an. Ich wähne mich auf zwei großen Blasen unterwegs. (Welche Streiche einem der Kopf so spielt, sehe ich erst am Auto, wo die Füße lediglich das käsige Weiß - auf den käsigen Geruch möchte ich hier nicht zu sprechen kommen - gegen eine starke Rotfärbung getauscht haben.) Irgendwie ist der Riemen runter. Das Gelände hat sich so verändert, dass es sich nur noch schwer laufen lässt. Dauernd sind irgendwelche Steinmauern zu durchsteigen. Ich ertappe mich öfter beim Fluchen. Dabei sind ganz interessante Dinge am Wegesrand zu sehen, wie ein ehemals tierbetriebener,  über 1000 Jahre alter Ziehbrunnen aus der Zeit der muslimischen Besiedlung.

Auf jeden Fall bin ich äußerst froh, als ich endlich am Waschplatz noch einmal „baden“ kann, bevor ich mich an den letzten Downhill zum Auto mache. Dort komme ich nach gut drei Stunden und 22 Kilometern ungefähr so fertig an, als hätte ich einen ganzen Marathon hinter mir. In der Trinkblase ist kein Tropfen Wasser mehr.

Habe ich eventuell den Mund etwas zu voll genommen, als ich für meinen nächsten Lauf den lokalen Führer gleich für vier Stunden gebucht habe?