Freitag, 27. Februar 2015

Neandersteig - Hilden bis Homberg?

Ein freier Tag. Ich weiß nichts Besseres damit anzufangen, als - der Leser ahnt es schon - Laufen zu gehen. Vier Tage nach einem Ultra und einen Tag vor einem 15-km-Wettkampf ist das sicher nicht die lehrbuchmäßige Trainingsmethodik. Doch ich will heute den Neanderlandsteig von Hilden bis Homberg erkunden.

Als mich der Nahverkehr am S-Bahnhof Hilden absetzt, hört der Regen auf. Die farblich invertierte Markierung, die Zuwege von den Haltestellen zum Steig kennzeichnet, finde ich hier nicht und vertraue mich dem GPS an. Knapp zwei Kilometer muss ich die doch noch ganz schön schweren Beine an einer lauten und windigen Fernverkehrsstraße entlangschleppen. Dann beginnt die typische rote Wegmarkierung mit dem weißen N.

Unterbacher See
Obwohl sich die Wegewarte viel Mühe bei der Auswahl möglichst schmaler Pfade gegeben haben, bleibt permant ein Autobahngeräusch im Ohr. Passend dazu liegt ein "Mc Donalds" am Wegesrand, was die Selbstversorger, die die gesamten 240 Kilometer zu Pfingsten ablaufen wollen, freuen dürfte. Erst am Unterbacher See verebbt der Verkehrslärm. Und ich bekomme langsam das Gefühl, durch die Natur zu rennen.

Dieser Eindruck verstärkt sich hinterm Park Morp ins Unangenehme. Hier steht der Schlamm so hoch in den zu Rinnen ausgewaschenen Wegen, dass ich mir die wasserdichten Socken an die Füße wünsche. Das nützt jetzt aber nichts mehr. In dem knöcheltiefen Matsch ist am Hang kein Vorwärtskommen. Ich weiche ins Unterholz aus und muss eine Böschung erklimmen, um wieder zum Weg zurück zu kommen. Kurz bevor ich das geschafft habe, zieht es mir die Füße zu Tal. Aus meinem Fehler in Japan habe ich gelernt und nehme diesmal die Hände im Fallen nach vorn. Ich sehe im letzten Augenblick den Hundehaufen, auf den ich zustürze. Kann die rechte Hand noch etwas beiseite ziehen und tauche nur mit dem behandschuhten rechten Zeigefinger ein. Was für eine Scheiße!

Neanderlandsteig - naturnahe Wegführung
Übellaunig und besudelt schlittere ich weiter durch die Mocke. Endlich bin ich am höchsten Punkt. Hier ist immer noch kein vernünftiges Laufen möglich. Ich wüsste auch nicht wohin. Denn an der Kreuzung sind keine Symbole mehr angebracht. Ein Blick zum GPS offenbart, dass ich nicht mehr auf dem Track bin. Warum auch immer. Ich korrigiere die Richtung und stoße bald wieder auf die vertraute Symbolik, der ich rutschend folge. Irgendwann erreiche ich die Talsohle und dort wieder festen Boden unter den Füßen. Seltsam bekannt kommt mir die Gegend vor!

Das GPS offenbart bei geringerer Zoom-Stufe, dass es den Neanderleuten gefallen hat, hinter dem Park Morp eine Wegeschleife zu beschildern. Als ich nach meinem ungeplanten Abstecher wieder auf diese stieß, bin ich offensichtlich in die falsche Richtung auf den Steig eingebogen und somit die letzten Kilometer wieder zurückgelaufen.

Ich habe schon 20 Kilometer auf der Uhr. Die Beine waren von Anfang an schwer und nochmal durch diese Schlammhölle will ich auch nicht. Ich beschließe, durch den Aaper Wald den direkten Weg nach Hause zu nehmen, den ich ab hier mit gut zehn Kilometern abschätze.

Eine Straße trennt zwei Waldgebiete. Der Wald lichtet sich, und ich beobachte einen Tiger zwischen den Stämmen. Er grinst mich vom Dach einer Esso-Tankstelle an. Da es Punkt 12 ist, lege ich hier spontan einen Boxenstopp ein. Einen Kaffee und eine Salzbrezel später starte ich erquickt durch - quasi mit aufgefülltem Tank. Was so ein Päuschen für Kräfte gibt, sollte man sich in Erinnerung rufen, falls man mal in Versuchung gerät, einen Lauf vorzeitig zu beenden.

Öko-Siedlung Düsseldorf - Unterbach
Als ich nach 32,5 Kilometern zu Hause ankomme, resümiere ich, dass das Stück zwischen Hilden und Unterbach nicht unbedingt noch einmal gelaufen werden muss. Aber mit dem Segment zwischen Park Morp und Homberg habe ich noch eine Rechnung offen!

Doch zunächst richtet sich der bange Blick auf den Wettkampf morgen.

Montag, 23. Februar 2015

50 km Tortura-Frühjahrs-Ultra 2015



Mitte Februar herrscht in Deutschland der Winter. Im Rheinland wird jedoch die fünfte Jahreszeit, der Karneval, ausgerufen. Danach geht man in Köln nahtlos zum Frühling über und veranstaltet am 22. Februar 2015 den „Tortura-Frühjahrs-Ultra“.

Und das Wetter gibt dem kleinen, privaten Organisationskomitee recht. Mit ein paar Sonnenstrahlen bleibt es bei windstillen zwei bis acht Grad niederschlagsfrei. Das ist auch gut so. Denn die 50 km lange Strecke führt über zehn Runden jedesmal die steilste Flanke des sogenannten Todesbergs hinauf. Wäre diese Passage feucht, so hätten die Sherpas des Veranstalters dort die - für alle Fälle schon bereitliegenden - Fixseile anbringen müssen. Doch ob trocken oder nass, es bleibt laut Auschreibung bei insgesamt knapp 1000 Höhenmetern.
 
Vorm Start am Fuße des Todesberges
Ich gehe mit idealem Wettkampfgewicht an den Start, denn aus Japan hatte ich mir nicht nur Narben im Gesicht, sondern auch eine fiebrige Darmgrippe mitgebracht. Die erste Runde erfolgt als Gemeinschaftslauf zur Streckenerkundung, da der Kurs nicht markiert ist. Es zeigt sich, dass der GPS-Track angesichts der Vielzahl der Parallelwege wenig hilfreich ist. Das verschlungene Zick-Zack durchs Unterholz kann sich keiner nach nur einer Runde merken. Und es kursiert der Witz, dass die größte Herausforderung bei diesem Lauf die Orientierung ist. Tatsächlich müssen wir auch auf der zweiten Runde auf ortskundige Führer warten, die uns dann durchs Dickicht geleiten. Doch schon auf Runde Drei kann irgendeiner aus unserem Fünf-Mann-Führungsteam an dieser oder jener Abzweigung seinen Beitrag zur korrekten Navigation leisten. Andere Gruppen hingegen sehen wir ratlos im Gehölz stehen. Ein Herr in markant gefärbtem Dress fällt uns besonders auf. Denn er läuft plötzlich vor uns, obwohl es zum Überrunden noch etwas früh ist. Und ohne, dass wir ihn überholen, ist er auf einmal hinter uns. „Überholen, ohne einzuholen!“ Was Ulbricht nicht schaffte, gelingt uns im Kölner Stadtpark! Als wir die Runde schließlich auswendig drauf haben, hat der Veranstalter die neuralgischen Punkte mit Luftballons markiert.
 
Handgemalte Startnummern
Kurz nach Beginn einer jeden Runde gilt es, den Todesberg zu erklimmen. Die Steigung macht einen Laufschritt unmöglich. Man kann gerade noch ohne Handeinsatz hinaufklettern. Etwa nach der Hälfte der Runde gibt es einen weiteren Hügel, der gleich zweimal zu erklimmen ist. Und wenige Meter vor dem Start-/Ziel- und Verpflegungsbereich wartet ein letzter kurzer, aber steiler Anstieg auf die Läufer.
 
Am Todesberg
Als der Veranstalter wenige Tage vor dem Lauf ein Foto der Pokale für die ersten drei Plätze herumschickt, löst das in mir ein Verlangen aus. Ich will nicht nur unter fünf Stunden bleiben, sondern auch so eine Trophäe mit nach Hause bringen. Dazu mache ich mir die Strecke zum Partner. Meine Strategie lautet schlicht: „Abwarten“. Ich wage keine Experimente oder Ausbruchsversuche, sondern laufe einfach im Spitzenfeld mit und setze darauf, dass die Distanz die Gruppe von selbst ausdünnen wird.

Der Verpflegungspunkt erweist sich dabei als mentales Sieb. Dort bleibt ab der fünften Runde immer wieder jemand hängen. Nur noch zu viert gehen wir auf Runde Sechs. Nach deren Ende fleht uns die Zeitnehmerin an, auf den verbleibenden vier Runden doch bitte für eine eindeutige Rangfolge zu sorgen. Der Führende lässt sich nicht lange bitten und spurtet los. Wir drei hetzen hinterher. Doch schon bald lässt sich Nummer Vier mit den Worten vernehmen: „Das Tempo halte ich keine vier Runden mehr durch!“ Uns anderen ist in jenem Moment noch nicht bewusst, dass dieses Orakel für uns alle gilt. Stattdessen liefert unser Tempomacher ein Lehrstück in positivem Denken, als er antwortet: „Es sind ja keine ganzen vier Runden mehr!“

Runde Acht lässt unser Fähnlein auf drei zusammenschrumpfen. Das Lied von den zehn kleinen Negerlein kommt einem unweigerlich in den Sinn. Möglicherweise singt man mittlerweile auch etwas Gleichstellungsgesetzkonformes. Auf jeden Fall ist jedem von uns jetzt ein Pokal sicher, so wir denn das Ziel erreichen.

Doch das Sieb verrichtet auch am Beginn der neunten Runde unbarmherzig sein Werk. Nur noch ich spurte dem Führenden hinterher, der nach jeder Verpflegung einen Startsprint hinlegt. Ansonsten läuft er, bis auf einige Bergab-Spurts, ein extrem gleichmässiges Tempo. In seiner Haut möchte ich nicht stecken. Es erfordert sicher einiges an mentaler Kraft, vier Stunden lang die Spitzenposition zu halten.

Und dann darf er endlich den Lohn der Führungsarbeit kassieren! Auf der neunten Runde ereilt mich die Krise. Ich lasse abreißen und gebe mich dem Selbstmitleid hin. Mein linker Fuß schmerzt stark. In meinem minimalen Schuhwerk spüre ich jede Buchecker am Boden. Die Pein ist nicht so fürchterlich wie letztes Frühjahr. Doch ich gebe den Plan auf, den „Trailroc 150“ für einen 100er einzulaufen. Die langen Strecken werde ich künftig mit dem bewährten „Trailroc 245“ absolvieren. Nicht nur meine Füße sind erlahmt, sondern auch mein Kampfgeist. Das Wissen um den sicheren zweiten Platz hat mich schwach werden lassen.

Ich schleppe mich auf die letzte Runde. Trotz meines Verfalls überrunde ich gelegentlich noch. So auch einen Läufer, der anscheinend vor Schmerzen gekrümmt am Rand steht. Da gerät ein bekanntes Muster in den Fokus meines Tunnelblicks. Es ist das Waden-Tatoo, das ich vier Stunden lang vor Augen hatte. „Mit allem hätte ich gerechnet, aber damit nicht mehr!“, sprudeln meine Gedanken im Vorbeilaufen aus mir heraus. Jetzt zeigt sich einmal mehr, dass Ultralaufen Kopfsache ist. Denn als ich realisiere, dass ich nun der Erste bin, sind alle Schmerzen verflogen. Meine Fortbewegung beginnt plötzlich wieder, einem Laufstil zu ähneln. „Die Führung lässt du dir nicht mehr nehmen!“, treibe ich mich ins Ziel.

Die Uhr ist noch nicht auf fünf Stunden umgesprungen, als die Organisatoren meinem Tag das I-Tüpfelchen aufsetzen, indem sie ein Zielband spannen, das ich mit der Brust zerreisse. Das wollte ich immer schon mal!
Der Mühen Lohn

Mittwoch, 11. Februar 2015

Trailrunning Tokio

Gerade denkt man über ein Gesetz nach, das die Japaner zwingen soll, wenigstens fünf ihrer Urlaubstage auch tatsächlich anzutreten, statt sie der Firma zu schenken. In Japan erfreut man sich anstelle des Urlaubs nur der "Golden Week" und der vielen Feiertage. Am 11.2.2015 ist so einer, und ich feiere mit. Da ich ohnehin schon so weit westlich des Zentrums wohne, fahre ich noch eine Stunde weiter gen Sonnenuntergang. Denn dort fangen die Berge an!

In den Bergen im Westen der Präfektur Tokio

Zwei Herren rufen


Ich will heute zwei Herren besteigen. Klingt eklig, aber die Japaner nennen ihre Berge eben so. Fuji-san, also Herr Fuji, ist wohl der bekannteste Vertreter. Leider ist im Winter eine Besteigung des Mt. Fuji lebensgefährlich, wenn nicht unmöglich. Daher müssen Herr Mitake (929 m) und Herr Otake (1267 m) dran glauben.

Blick vom Mitake-san

Vierzig Wagen westwärts


Ich verlasse am Mitake-Bahnhof die nur vier Wagen lange Bahn und laufe mittels GPS in Richtung Gipfel. Die erstaunlich wenigen anderen Touristen (wo sind die Millionen an so einem Feiertag?) nehmen erst den Bus und dann die Seilbahn. Während ich die steile Asphaltstraße zur Bodenstation der Seilbahn hochschnaufe, applaudieren mir die Arbeiter, die eine Baustelle "absichern". Was anderswo Ampeln und Schilder tun, wird hier als bezahlte Arbeit verrichtet, so dass ein soziales Netz ensteht.

Bergblick nahe Oku-Tama

Am Limit?


Eine sehr schmale Bergstraße windet sich so steil empor, dass ich mehrfach ins Gehen verfalle. Ein Vorgeschmack auf den weiteren Verlauf des Tages! Mir wird schnell warm. Ich laufe einfach im Langarmhemd weiter. Es dürften so um die Null Grad sein. Da aber bei strahlend blauem Himmel Windstille herrscht, fühlt es sich, auch angesichts der Steigung, sehr angenehm an. Sogar die Handschuhe brauche ich nicht. Dabei ist mein Laufrucksack voller Klamotten. Für Gipfelregionen, Notfälle und vor allem für die Warterei nach dem Lauf am Bahnhof habe ich ein Shirt, einen Pullover und eine dickere Jacke nebst trockenen Socken dabei. Zusammen mit drei Riegeln, einer Tüte Studentenfutter und 1,5 Liter warmen Wassers ergibt das ein dickes Knäuel auf dem Rücken. Doch der 12-Liter S-Lab ist damit noch nicht ganz am Limit.

Mitake-Schrein
Ich auch nicht. Aber oben auf dem Mitake-san wird es so frisch, dass ich mir das zweite Shirt wieder überziehe. Auch die Handschuhe werden wieder gebraucht. Denn nach dem einstündigen Austieg komme ich kaum noch zum Laufen, da es so viel zu fotografieren gibt. Schon an der Bergstation stehen ein paar Schreine herum, aber auf dem eigentlichen Gipfel erhebt sich der Mitake-Schrein. Bis hierhin ist alles recht urban mit Asphalt und Treppen ausgestattet. Wobei letzte extrem vereist sind. Haben deshalb 80 Prozent der einheimischen Wanderer Grödeln unter den Wanderschuhen? Insgeheim mache ich mich darüber lustig. "Ist doch nur Mittelgebirge!" Außerdem bimmeln die Japaner wie verrückt. Jeder trägt ein kleines Glöckchen mit sich herum. Wozu nur?

Seilversicherte Passage

Bären und andere Gefahren


Dann sehe ich es! Das Schild, das zum Mt. Otake weist und gleichzeitig vor Bären warnt. Die Mönche retten mich. Sie bieten nämlich neben allerlei Devotionalien auch die Glöckchen feil. Vielleicht haben sie  geschäftstüchtigerweise die Warnschilder selbst aufgehängt? Nun bimmele ich jedenfalls talwärts auf vereister Straße. An ihrem Ende beginnt echte Natur. Als letzte Bastion hat jemand einen kleinen Kiosk an einem Aussichtspunkt errichtet. Den Blick möchte ich natürlich genießen und biege von der gefährlich glatten Straße in scheinbar ungefährliches Matschgebiet ab. Am Ausblick lagern zwei Wanderer und kochen sich eine Mahlzeit auf dem Gasbrenner. Wie ich die beiden so bestaune, bleibe ich mit dem rechten Fuß hängen. Vielleicht weil ich das Handy in der Hand halte, gelingt es mir nicht, mich mit den Händen abzufangen. Ich erlebe, was "der Länge nach Hinschlagen" bedeutet. Mit dem Kopf voran lande ich im Matsch zu Füßen der beiden Kocher. Das entlockt diesen nur ein Gekicher. "Vielen Dank, meine mandeläugigen Weggefährten!", würde die druckfähige Version des Fluches lauten, mit dem ich die Beiden stumm bedenke. Mit christlicher Nächstenliebe darf man in Asien offenbar nicht rechnen. Das hatte ich schonmal im indischen Verkehr erlebt, als alle Autos den gestürzten Motorradfahrer einfach umkurvten.

Bären am Mt. Otake
Ich spucke Schlamm und rappele mich völlig verdreckt auf. Handy und Uhr sind verschlammt, meine Klamotten sowieso. Hand, Knie und Schulter zerschrammt. Doch ich habe Glück im Unglück. Ein paar Schritte weiter gibt es ein WC. Leider sind die Regenfässer zugefroren. Doch drinnen fließt Leitungswasser. Und dort hängt ein Spiegel. Der zeigt, dass ich nicht nur Schlamm im Gesicht habe, sondern jede Menge Blut! Kinn und Oberlippe sind nur angekratzt, aber der Nasenrücken hat wohl bei der Landung die meiste Arbeit geleistet. Von dort leckt es ganz ordentlich. Glücklicherweise gehören zu meiner Ausrüstung auch Toilettenpapier und Pflaster. Nachdem die Blutung gestillt ist, breche ich, nun etwas verwegener aussehend, zum Otake-san auf.

Bambus als Unterholz

Nur noch Single-Trail


Jetzt beginnt der Trail-Teil der Tour. Mal geht es über matschige Waldwege, mal über verharrschten Schnee, mal über Felsen oder Wurzelwege. Auch etliche seilversicherte Passagen sind dabei. Und der ganze Weg ist ab jetzt bis zum Ziel in Oku-Tama nur noch eine einziger Single-Trail!

Blicke vom Otake-Gipfel zum Fuji
Der Gipfel des Mt. Otake kommt überraschend. Plötzlich finde ich mich auf einem baumlosen Plateau wieder, das herrlich von der Sonne beschienen wird. Eine Handvoll Wanderer rastet hier und genießt den Blick in die Bergwelt, über der der Mt. Fuji throhnt.

Gipfeljause auf Japanisch: Reisteller und Stäbchen

Schnee, der unter Zedern liegt


Einen Riegel später mache ich mich an den Abstieg. Dabei komme ich langsamer voran, als beim Aufstieg. Denn für harrsch-überzogenen Fels am steilen Abgrund sind die Trailroc doch nicht griffig genug, um leichthin durch den Zedernwald zu Tale zu springen. Jetzt wünsche ich mir diese Grödeln! Vom Stürzen habe ich für heute nämlich genug. Angesichts des stellenweise alpinen Charakters der 17-km-Tour komme ich inklusive aller Zwangs-und Fotopausen nur mit 14 min/km voran, brauche also 4,5 Stunden. Und ich genieße jede einzelne Sekunde! Was auch immer heute gefeiert wird, dieser Feiertag wird für mich zum echten Kurzurlaub.



Kette und vereiste Leiter


Meine Sorge vorm Frieren am Bahnhof Oku-Tama ist unberechtigt. Just als ich eintreffe, kann ich noch in einen abfahrenden Zug nach Tokio springen. Ich stinkende, verdreckte europäische Langnase erwecke mit meinem spitznamengebenden, blutigen Körperteil sofort das Mitleid der jungen Damen neben mir. Statt sich angewidert abzuwenden, reichen sie mir Pflaster und Zellstoff. Ich revanchiere mich mit Studentenfutter. So kitten wir die in den Bergen zerbrochene deutsch-japanische Freundschaft.

Dienstag, 10. Februar 2015

Running Tokio

Tokio-Marathon-Poster am Flughafen
Schmerzen im rechten Bein. Ich muss die Position wechseln. Versuche wieder einzuschlafen. Schrecke wieder hoch. So geht das schon die ganze Nacht. Ich will hier raus!

Nach zwölf Stunden Flug zuzüglich der Warterei am Checkin, an der Sicherheitskontrolle und am Flugsteig ist der Bewegungsdrang ins Unermessliche gestiegen, als ich in Tokio von Bord gehe. Jetzt noch auf das Gepäck und den Bus warten, bevor die letzte Etappe beginnt. Auf der zweieinhalbstündigen Fahrt durch den abendlich dichten Verkehr der Millionenstadt sehne ich mich bereits in die Laufklamotten. Ob ich diesmal ein besseres Plätzchen zum Ausschütteln der steifen Glieder finden werde als bei der letzten Reise?

Damals brachte mich der Bus nach dem Interkontinentalflug vom Flughafen Narita zum  Flughafen Haneda. Dort stand nach der Übernachtung ein Weiterflug zur Insel Kyushu am nächsten Morgen an. Doch vorm Zu-Bett-Gehen wollte ich noch Laufen. Meine Frage nach einer Laufmöglichkeiten wurde beim Checkin im Flughafenhotel, das mit einer Glastür direkten Zugang zum Terminalgebäude bietet, abschlägig beschieden. Doch so schnell gab ich nicht auf. Ein ordentliches Trinkgeld entlockte dem Pagen, der meinen Koffer aufs Zimmer brachte, zwar kein Wort Englisch, dafür eine Skizze, die er auf das Hotel-Briefpapier kritzelte, wodurch es sich für mich zu einer Schatzkarte verwandelte. Mit dem Zettelchen in der Hand trat ich in "Kurz-Kurz" in die Dunkelheit vor das Hotelportal. Links führte die Straße in einen Tunnel, rechts auf eine Hochstraße. Kein Fußweg weit und breit. Aber unter mir war noch eine Ebene! Der einzige Weg dorthin führte allerdings durch das Terminal-Gebäude, wo ich in meinen Sportdress zwischen den Reisenden einige Aufmerksamkeit auf der Rolltreppe erregte. Dann konnte es endlich losgehen! Die Skizze passte wunderbar. Ich schlängelte mich auf der eingezeichneten Route zwischen Öltanks und Hangars hindurch. Und genoss den Geruch von Kerosin, den der laue Herbstwind übers Rollfeld trieb. Auch der Lärm der Triebwerke störte mich nicht. Endlich laufen! Plötzlich glaubte ich, meinen Augen nicht mehr trauen zu können. War es das Runner's-High, das mir eine Fatamorgana vorgaukelte? Da kam mir doch in dieser Wüstenei tatsächlich ein Läufer entgegen! Meine lässig zum Gruß erhobene Hand konterte der Japaner mit einer Verbeugung - in vollem Lauf!

Park bei Nacht - Man beachte den Läufer links unten
Heute speit mich der Bus im Westen der Stadt aus. Direkt vor dem Hotel befindet sich ein Park. Das ideale Laufgebiet öffnet seine Pforten aber nur von 9 bis 16:30 Uhr. Die Ortszeit zeigt aber schon 20 Uhr. Also umrundete ich das Gelände außerhalb des Zauns. Etliche Läufer und Radfahrer begegnen mir. Und jede Begegnung wird zur Herausforderung. Muss ich nun links oder rechts? Offenbar sind Fußgänger und Radler hier auch nicht ganz so diszipliniert und verwirren mich, indem sie die "falsche" Seite des Weges nutzen, wenn ich schonmal ans Linkslaufen gedacht habe. Wenigstens bin ich mit Stirnlampe und Rücklicht weithin als Gaijin erkennbar. Ich muss kaum Straßen kreuzen. Und nur wenige Autos sind unterwegs. Es wird deutlich, dass ich ziemlich weit außerhalb des Zentrums bin. Da ich die Wege durch den Park nicht nutzen kann, muss ich auch noch einen kleinen Flugplatz umrunden (also doch wieder!), bevor ich nach einer knappen Stunde Tempodauerlaufs die Dusche meines Hotelzimmers aufdrehe.

Mal sehen, ob ich es bei diesem Aufenthalt noch schaffe, den Molloch zu verlassen und ein paar Trails mit etwas Landschaft drum herum zu entdecken.

Welche Stärkung darf es nach dem Lauf sein?

Sonntag, 8. Februar 2015

Gore-Tex vs. Sealskinz



Letztens erwähnte ich die Benutzung von wasserdichten Socken, was zu vielen mündlichen und schriftlichen Nachfragen führte. Daher möchte ich etwas detaillierter über meine Erfahrungen berichten.

Nasse Füße kennt jeder Läufer, der bei Wind und Wetter seine Bahnen zieht. Auf längeren Strecken kann das unangenehm werden, wenn die Füße auskühlen oder die nassen Socken Falten werfen. Doch wie kann man die Füße trocken halten?

Mit zwei Systemen, die vor Nässe schützen sollen, habe ich beim Laufen Erfahrungen gemacht. Das sind Gore-Tex und Sealskinz. Ich probierte Gore-Tex-Schuhe und Sealskinz-Socken. Also berichte ich von Äpfeln und Birnen, denn ein fairer Vergleich würde den Socken von Sealskinz Gore-Tex-Socken gegenüber stellen.

Gore-Tex-Schuhe


Durch die Ausrüstung mit der Gore-Tex-Membran sind die Schuhe schwerer als herkömmliche Laufschuhe. Im Barfuß-Bereich findet man daher kaum wasserdichtes Schuhwerk. Vor meiner Umstellung auf einen natürlicheren Laufstil kaufte ich mir einen Gore-Tex-Schuh, den New Balance MT610. Beim 27-km-Härtetest im Dauerregen fiel der Schuh durch. Einmal eingedrungenes Wasser ließ die Membran nicht mehr hinaus. Ich hatte am Ende soviel Wasser im Schuh, dass ich es ausgießen konnte. Damit war Laufen mit Gore-Tex-Schuhen für mich Geschichte.

New Balance MT610

Sealskinz-Socken


In verschiedenen Läufer-Blogs las ich über Handschuhe und Socken von Sealskinz, die wasserdicht sein sollten. Das machte mich neugierig. Und ich gönnte mir den Luxus, das auszuprobieren. Von Luxus muss man wohl sprechen, wenn Socken fast 50 Euro kosten. Diese kamen per Post, ich zog sie an - und war enttäuscht! Sie fühlten sich dick und starr an. Ja, sie drückten fast ein ein wenig. Die Socken verschwanden ganz hinten im Schrank. Noch mehr Luxus! Socken für 50 Euro kaufen, und dann nicht anziehen!

Doch später lief ich mit immer tiefer und tiefer gelegtem Schuhwerk. Bei jeder feuchten Stelle am Boden, wurden die Socken sofort nass. Als dann auch noch Schnee fiel und wieder taute, erinnerte ich mich vor einem 32-km-Lauf an die Sealskinz-Socken.

Beim Anziehen wieder das leicht unangenehme Gefühl. Doch kaum steckte der Fuß samt Socke im Schuh, war das vergessen! Beim Laufen wirkten die dicken Socken sogar polsternd. Als ich durchs Eis in eine Schlammpfütze einbrach, zog ich ein dreckigen, aber trockenen Fuß heraus. Die Füße blieben auch im Schnee und im Matsch warm und nahezu trocken. Ein bisschen feucht werden die Socken ja auch im Hochsommer allein durch den Schweiß.

Sealskinz-Socke in Trailroc 150
Nach dem Lauf der absolute Härtetest. Ich ging auf Socken durch den Schnee! Anschließend waren die Socken außen klitschnass, innen hingegen lediglich feucht. Daher nutzte ich diese Fußbekleidung auch unter den extremen Bedingungen des Hivernal-Trails.





Mit Sealskinz-Socken durch den Schnee
Auch wenn ich nach zwei Benutzungen über jeweils gut 30 Kilometer und den zugehörigen zwei Wäschen noch nichts über die Langzeit-Qualität sagen kann, hat sich für mich das Konzept bewährt. Die Kombination von Minimal-Schuhen (hier Inov-8 Trailroc 150) mit Sealskinz-Socken bei nasskalter Witterung hat mich überzeugt.


Das geteste Material habe ich privat erworben. Der Test erfolgte völlig unabhängig von Handel und Herstellern.