Montag, 30. November 2015

Leguano – Eine Tupper-Party für Läufer



Der TuS 08 Lintorf hat mich zum gemeinsamen Training ins Stadion eingeladen. Denn es wird der ehemalige Ultraläufer Hansi Köhler erwartet. Er möchte uns Barfuß-Schuhe von Leguano vorstellen. Wir können Sie testen und bei Gefallen kaufen – sozusagen das läuferische Äquivalent zu einer Tupper-Party.

Natural Running


Zunächst erfolgt eine ganz kurze Einweisung in die Welt des Barfußlaufens und des natürlichen Laufstils. Dazu lässt uns Hansi am Ort hüpfen. Nach einer Weile sollen wir die Dämpfung unserer Schuhe testen, indem wir beim Hüpfen nicht auf dem Ballen, sondern auf der Ferse landen. Da ich mit dem „Inov-8 Trailroc 150“ ungedämpfte Schuhe trage, lasse ich das aus. Die anderen scheinen einen Stoß bis in den Kopf zu spüren. Die Schuhe können demnach eine Landung aus 10 cm Höhe nicht effektiv abfangen. Stattdessen übernimmt unser Bewegungsapparat diese Aufgabe beim Landen auf dem Ballen. 

Sohle und Fersenkappe

Mich muss davon niemand mehr überzeugen. Und unter den anderen Sportlern ist das ganze Meinungsspektrum vertreten. Während einige bereits Schuhe von Leguano tragen, gibt es auch einen Totalverweigerer: „Mit den hässlichen Dingern soll ich rumlaufen?!“ Die anderen nehmen aufgeschlossen an den Übungen teil. Doch als Hansi verlangt, dass wir barfuß bei fünf Grad auf nassem Tartan ein paar kurze Steigerungen laufen, verschwindet ganz plötzlich die Begeisterung für das natürliche Laufen. Eine erkleckliche Anzahl von Füßen bleibt beschuht.

Ich mache tapfer mit. Doch gegen Ende sind meine eiskalten, nassen Füsse am Ballen taub. Es fühlt sich an, als ob ein Fremdkörper darunter kleben geblieben sei. Doch so oft ich ihn auch wegzuwischen versuche - da ist nichts. Endlich dürfen wir zurück in die Schuhe! Dieses Bedürfnis war vermutlich nicht der gewünschte Effekt der Übung.

Testlauf


Statt in die eigenen Puschen können wir nun endlich in die Leguanos schlüpfen. Es stehen zwei Modelle zur Auswahl. Beide verfügen über die gleiche Sohle, der Aufbau ist jedoch unterschiedlich. Variante Eins sieht aus wie ein Schuh und verfügt über eine herkömmliche Schnürung. Hier passt mir Größe 47, wie auch sonst bei Laufschuhen. Das Laufgefühl ist hervorragend, natürlich und barfüßig. Es fühlt sich noch etwas direkter als im Trailroc 150 an. Vor allem aber ist der Leguano viel wärmer!

Das "Business"-Modell der "Variante Zwei"

Danach ziehe ich an einen Fuß Variante Zwei, während Nummer Eins am anderen Fuß verbleibt. Dieser zweite Leguano (ich schreibe bewusst nicht „Schuh“) sieht aus wie eine Socke mit Sohle. Und ich laufe nun beide Varianten im direkten Vergleich. Dabei erscheint mir das Barfußgefühl in der „Socke“ noch intensiver. Es stellt sich heraus, dass ich hier Größe XXL benötige, die auf dem "Schuhkarton" (ein Würfel mit einer geschätzten Kantenlänge von zehn Zentimetern) alternativ mit 46/47 angegeben wird.

Kleines Packmaß

Meine Wahl


Am Ende bin ich der einzige Käufer. Ich entscheide mich für die Socke. Zum einen, weil sie das barfüßigere Gefühl vermittelt. Zum anderen ist sie 50 Euro preiswerter als die Schuhe. Ganz Geschäftsmann, wähle ich das "Business"-Modell, bei dem Sohle und Stoff komplett in Schwarz gehalten sind. Doch als meine Frau mich derart bestrumpft zu Hause auflaufen sieht, verbietet sie mir sofort, "auf Strümpfen" ins Büro zu gehen.

Mit Leguanos durch feuchtes Gras

Stattdessen  laufe ich zehn Kilometer durch die Felder. Asphalt erweist sich als der ideale Leguano-Untergrund. Auch kurze Wald- und Feldwegpassagen meistert das neue Fußkleid. Jedoch ist die Wattiefe im Schlamm arg eingeschränkt. Zum Glück lassen sich die Leguanos nach dem Lauf per Hand- oder Maschinenwäsche vom Schmutz befreien. Verglichen mit dem Trailroc 150 hat man deutlich weniger Schutz an den Zehen und an der Ferse. Dafür ist die Leguano-Sohle noch flexibler.

Nackte Fakten, statt nackter Füße


Diese Sohle besteht aus einer Aneinanderreihung von Noppen. Mit einer Schublehre messe ich nach. Die eigentliche Sohle zwischen den Noppen ist 4 mm dick. Die Noppen vergrößern den Abstand zwischen Fuß und Boden auf 7 mm.

Wenn ich schon mal beim Messen bin, hole ich auch noch die digitale Küchenwaage aus dem Schrank. Mit exakt 200 Gramm wiegt ein Leguano in meiner Größe genau ein Gramm mehr als mein Trailroc 150. 

Flexible Sohle

Fazit

 

Wer genug Selbstbewusstsein mitbringt, sich abseits sozialer Normen zu kleiden (Five-Finger-Träger aufgepasst!), findet im Leguano eine Fußbekleidung für alle Lebenslagen bis hin zum Ultra-Laufen auf befestigtem Untergrund (wie hier beobachtet). Selbst Autofahren ist mit dem Leguano eine ganz neue Erfahrung. Weniger Robuste können die Socke mindestens als warmen, bequemen Hausschuh mit sagenhafter Bodenhaftung nutzen.

Montag, 23. November 2015

Salomon Advanced S-lab Hydro 12 Set – ein europäischer Garantiefall



Im Januar 2014 stand der Erwerb eines Laufrucksacks auf dem Plan, um auch auf längeren Strecken autark verpflegt unterwegs sein zu können. Außerdem ermöglicht so ein Utensil die Mitnahme von Wechselbekleidung, so dass man unterwegs auf veränderliche Wetterbedingungen reagieren oder im Ziel etwas Warmes für die Rückreise überziehen kann. Ein eingepacktes Notfallset kann ebenfalls sehr hilfreich sein, wie ich bald schon dankbar feststellen konnte.

Der Kauf


Nach langer Googelei fand ich einen Online-Laden, der den erwählten „Salomon Advanced S-lab Hydro 12 Set“ für 118 Euro feilbot. Selbst als noch 16 Euro Versandkosten hinzukamen, blieb das Angebot unschlagbar günstig. Aber wieso so hohe Versandkosten? Erst ein Blick ins Kleingedruckte der in Deutsch präsentierten Seite offenbarte die spanische Herkunft des Anbieters. Die Lieferung dauerte daher auch ein paar Tage länger.

Die Nutzung


Es folgten viele glückliche Laufmomente mit meinem neuen Begleiter, den ich fortan beim Laufen kurz unterhalb meines Schalks platzierte. Mit dem vorher auf langen Läufen genutzten Hüftgurt bin ich nie wirklich zufrieden gewesen, da dieser aller paar Schritte hochrutschte und zurechtgerückt werden musste. Nicht so der Rucksack, der wegen seiner enganliegenden Passform auch Laufweste genannt wird. Seine Anwesenheit vergisst man unterwegs nahezu, bis Hunger oder Durst in Dankbarkeit an ihn erinnern, erst recht seit ich ihn mit einer zusätzlichen Trinkblase (geliefert wird er nur mit zwei Flaschen) nebst Isolierung ausgerüstet hatte.

Der Garantiefall


Kurz vor dem 100er im Oktober passierte es dann. Der meistbenutzte Reißverschluss (ich hatte immer das Handy in dieser Tasche verstaut) geht den Weg alles Irdischen. Zusätzlich gibt eine Flasche unter Druck ihren Inhalt aus einem winzigen Löchlein preis.

Softflask spritzt Wasserstrahl

Der Herr an der Salomon-Hotline lässt durchblicken, dass man den defekten Reißverschluss durchaus als Garantiefall sehe. Aus der unterlassenen Erwähnung der kaputten Flasche schließe ich, dass die gleiche Betrachtung für sie wohl nicht gilt. Wie auch immer, ich solle mich besser an den Händler wenden, was ich am 27. Oktober tue.

Kaputter Reißverschluss
Dort verweist man mich auf ein Online-Formular, mithilfe dessen ich meinem Rücksendewunsch Ausdruck verleihen möge. Dazu seien Fotos des Schadens beizufügen. Das Formular kennt aber nur EINEN Schaden und lässt nur daher nur ein einzelnes Bild als Anhang zu. Es lässt sich auch nicht mit einem tar-Archiv, in das ich beide Bilder packe, überlisten, da die Datei keine bildtypische Endung trägt. Da stelle ich eben zwei Anträge!

Man teilt mir darauf mit, dass mein Rucksack am nächsten Montag ABGEHOLT werde, ein Versenden meinerseits sei nicht möglich. Alles Weitere möge ich doch mit GLS klären. Ich muss also den ganzen Montag zu Hause auf den Postmann warten. Immerhin kann der Paketdienst den Zeitraum auf Nachfrage noch etwas einschränken: „Zwischen 13 und 18 Uhr.“ Fünf vor Sechs holt der Bote schließlich das Päckchen ab.

Acht Tage später erhalte ich die Nachricht, dass die Ware in Spanien angekommen sei. Es vergeht eine weitere Woche ohne Fortschritt. Dann erhalte ich per Email eine Kundenzufriedenheitsanfrage von Salomon im Nachgang zu meinem initialen Anruf. Dort nutze ich das freie Textfeld, um es mit Status und Referenznummer meines Rücksende-Vorgangs beim Online-Händler zu füttern. Ich weiß nicht, ob ein Zusammenhang besteht, aber zwei Tage später informiert mich der Händler, dass die Gutschrift „in den nächsten Tagen“ auf mein Konto erfolgen werde.

Heute, fünf Tage später, ist noch keine Zahlung eingegangen. Aber ich habe schon mal gegoogelt. Inzwischen ist die Version 3 des Rucksacks als "Salomon S-lab Adv Skin3 12 Set" verfügbar. Sie hat noch einen Reißverschluss mehr.


Freitag, 20. November 2015

14 Minuten



Wie hoch ist das Jahreseinkommen eines Lauf-Profis? Und wie sieht das Wettkampf-Frühstück für eine Bestzeit aus? Neben tiefen Einsichten in die Psyche eines Hochleistungssportler liefert die Autobiographie von Alberto Salazar „14 Minuten“ auch Anworten auf solche Fragen. Ein Beispiel: Welche zwei Grundvoraussetzungen muss ein guter Marathonläufer mitbringen? „Den Willen und die Fähigkeit zu leiden.

Es sind nicht seine außergewöhnlichen Lauferfolge in den 1980er Jahren, die Salazar dazu bewegen, ein Buch zu schreiben. Erst ein 14-minütiges Herzversagen, das er entgegen jeder Wahrscheinlichkeit überlebt, lässt ihn auf seine Karriere zurückblicken. Den Grund für seine Gesundheitsprobleme sieht er nachträglich in seiner übertriebenen Trainingshärte. Selbstzerstörerisches Tun findet er auch bei einigen seiner Ahnen, die ihrem inneren Antrieb folgend und wider besseres Wissen in den Tod gingen. So sieht er sich in deren Tradition handelnd, wenn er gegen den Schmerz, mit dem Schmerz, in den Schmerz hinein läuft. Der Schmerz wird sein Freund.

Läufer ... lernen, sich dieser Schmerzgrenze immer weiter zu nähern und sie zu überschreiten. Im Laufe der Jahre lernt man sogar, sie willkommen zu heißen und kann schließlich nicht mehr ohne sie leben. Was man einst als sein äußerstes Limit angesehen hatte, wird ab sofort zur Normalität. ... Alles, an das man denken kann, ist wieder an diese Grenze zu gehen und einen weiteren Schritt über sie hinaus zu wagen. Man bewegt sich aus purer Willenskraft. Diese Grenzerfahrungen machen einen süchtig und sind außerordentlich gefährlich.“

Salazar, der schon früh mit dem Tod in Berührung kommt, hält sich für unsterblich und unbesiegbar. Tatsächlich gelingen ihm mit dieser Einstellung Weltrekorde und drei Marathons von Weltklasse. Allein die spannende Schilderung dieser großen Läufe und seiner Gedanken unterwegs – quasi ein nachträglicher Laufblog – machen das Buch zur lohnenden Lektüre. Bei seinem New York Marathon bin ich auf diese Weise mitgelaufen und habe im Ziel mit den Tränen gekämpft. So etwas muss ein Buch erstmal schaffen. Da sieht man es dem Autor auch nach, dass er aller paar Seiten seinen ehemaligen Sponsor und jetzigen Arbeitgeber in den Himmel hebt. Die zweite Hälfte des Buches handelt von seiner Tätigkeit als Team-Trainer für eben diesen Laufbekleidungshersteller.

Man kann einem Läufer fast jede Eigenschaft oder Fähigkeit antrainieren, nicht aber innere Stärke.“

Dieser Teil scheint mir angesichts der aktuelleren Dopinganschuldigungen und Zerwürfnisse im Team nicht so relevant. Daher habe ich ihn übersprungen. Der Wert des Buches liegt für mich stattdessen in Sätzen wie diesen:

Der Schmerz beim Langstreckenlauf tritt eher in Form einer allumfassenden Erschöpfung des gesamten Körpers auf. Der Wille fließt geradezu aus einem heraus; jede Faser fordert, stehenzubleiben. Die eigenen Gedanken trüben sich ein. Die Welt wird neblig. Man ist knapp davor aufzugeben, den Kampf zu beenden und einfach unterzugehen.

Und vielleicht gibt man auch wirklich auf – für einen kurzen Augenblick – gerade lange genug, um den Geschmack des Glücks und des Horrors einer Aufgabe zu erfahren. Doch dann macht man einen weiteren Schritt, und es wird einem klar, dass der Punkt totaler Erschöpfung und Kapitulation, an dem man sich schon wähnte, in Wahrheit doch noch eine Meile weiter vorne liegt. Man erkennt, dass es in Ordnung ist, sich schrecklich zu fühlen – schrecklich wird das neue normal.“

Bei seiner Nahtoderfahrung sieht Salazar nicht das oft beschriebene helle Licht. Das führt der tiefreligiöse Mann, der sich zu einem gewissen Grad als Auserwählter zu begreifen scheint, darauf zurück, dass er sein ganzes Leben bereits in eben diesem Licht verbringen durfte. Wesentlich mehr kann man wohl nicht erreichen, wenn man ein solches Resümee des eigenen Lebens ziehen darf.

14 Minuten, Alberto Salazar, Sportweltverlag 2015


Ein Rezensionsexemplar dieses Buches wurde mir vom Sportweltverlag kostenlos zur Verfügung gestellt.