Freitag, 29. Januar 2016

Formbelt kann nicht mit ansehen, wenn Läufer bockig sind


Inzwischen hat wohl auch noch der letzte Blogger seinen Formbelt bekommen. Nämlich ich.

In (oder auf?) jedem Läufer-Blog, dem ich folge, war in letzter Zeit von einem Formbelt zu lesen, einem Wundergürtel, der den wackelfreien Transport von Autoschlüssel und Smartphone während des Laufs ermöglichen würde. Offenbar hatte der Hersteller alle Kollegen mit seinem Produkt ausgestattet. Nur mich hatte man übergangen. Skandal! In einem Kommentar postete die beleidigte Leberwurst das Pulsmesser seinen Unmut in die Welt. Sinngemäß schrieb ich, jetzt sei ich aber mal so richtig bockig.

Scheinbar liest irgendjemand tatsächlich die Kommentare unter Blog-Einträgen. Denn umgehend erhielt ich eine Email mit dem Betreff „Formbelt kann nicht mit ansehen, wenn Läufer bockig sind“ und anschließend das kostenlose Produkt.

Endlich konnte ich mich wieder in meiner Wichtigkeit als Blogger sonnen. Man nimmt mich wahr, man nimmt mich ernst, ich werde gelesen! Und beschenkt! Mit anderen Worten, jetzt bin ich korrumpiert. Wenn ich nun gleich ein Loblied auf den tollen Transportgürtel anstimme, dann ist dies der Beweis für meine Befangenheit. Man hat mich gekauft. Ich bin zum verlängerten Arm der Marketing-Abteilung geworden.

Oft liest man „Der Hersteller hat mir das Produkt kostenlos zur Verfügung gestellt. Aber meine Bewertung ist davon völlig unbeeinflusst.“ Wahrscheinlich glauben das die Autoren sogar wirklich. Ich denke, zumindest eine gewisse, unbewusste Befangenheit darf unterstellt werden. Einen völligen Verriss habe ich jedenfalls unter diesen Bedingungen noch nie gelesen.

Es geht aber noch schlimmer. Kürzlich bekam ich das Angebot, bezahlte Blog-Einträge zu schreiben. Darin sollten Produkte erwähnt und verlinkt werden. Gewünscht war ganz explizit, dass ich verschweige, dass es sich hier um Auftragswerke, also um Werbung, handelt. Natürlich habe ich von dem Angebot keinen Gebrauch gemacht. Da als Mindestlohn immerhin 50 Euro pro Bericht angeboten wurden, scheint mir künftig beim Bloglesen eine gewisse Skepsis angebracht. In diesem Zusammenhang sei auf einen Leitfaden der Medienanstalten verwiesen, der aufzeigt, wann ein Beitrag als Werbung zu kennzeichnen ist.

Zurück zum Zaubergürtel. Man stelle sich eine Strumpfhose vor, von der man ein Bein abschneidet und sich dieses um den Leib knotet. Nun schneidet man an der Oberseite drei kleine Löcher hinein - zwei links und rechts vorm Bauch, eins in der Mitte hinten. Durch diese Löcher schiebt man sein Transportgut ins Innere des Strumpfbeines und läuft los. Durch die Elastizität des Materials bleibt alles an seinem Platz, hüft nicht herum und auch nicht heraus. Dieses Prinzip setzt der Formbelt um, nur eben „in hübsch“.
Fehlt auf Amazon: Formbelt-Größentabelle
Nutze im Wettkampf nichts, was du nicht vorher im Training ausprobiert hast“, lautet ein eherner Grundsatz des erfolgreichen Athleten. Da im Ultrabereich jeder Wettkampf ja auch irgendwie Training für den nächsten Ultra darstellt, schlüpfte ich vorm KEU ganz unbekümmert in den Form-Gurt. Ja, ich schlüpfte, denn man muss ihn tatsächlich wie eine Hose anziehen, da das elastische Teil ohne Verschluss auskommt. Smartphone und Autoschlüssel stopfte ich zunächst in Plastiktüten, um sie vor Feuchtigkeit zu schützen, und dann in den Belt. Etwa nach der Hälfte der 49 km drückte mir das Handy etwas zu sehr auf die Blase, worauf ich den Gurt so verschob, dass das Telefon fortan an meiner Rückseite anlag. Ansonsten machten sich die mitgenommenen Utensilien unterwegs nicht bemerkbar.

Mit verknackstem Knöchel im Dunklen auf dem kalten Waldbogen zu liegen und dem ersten Gassigänger am nächsten Morgen entgegenzubibbern, das war das Horror-Szenario, das mich vor Jahren zur Anschaffung eines Handys bewog. Mittlerweile wurden aus den kleinen Mobiltelefonen für die Hosentasche riesige Smartphones, die nur noch mittels Spezialgerät zu transportieren sind. Auf langen Läufen verstaue ich das Smartphone im Rucksack. Aber auf den kürzeren Distanzen bin ich nun wieder telefon- und schutzlos den Naturgewalten ausgeliefert. Diese Lücke lässt sich mit dem Formbelt schließen.


Der Formbelt wurde mir kostenlos vom Hersteller zur Verfügung gestellt. Das könnte meine Objektivität beeinträchtigt haben.

Montag, 18. Januar 2016

KEU - Wo schmutzige Phantasien Wirklichkeit werden



Im Morgengrauen raunt mir die attraktive Betty zu: „Ich wusste gar nicht, dass du auch so schmutzige Sachen magst!“ Damit gehöre ich wohl endgültig zur Familie.

Schon vor einigen Wochen hatte mir Jochen, der Pate, geschrieben: „Herzlich Willkommen in der Trail-Mafia-Familie“, und mich damit zum 0211-KEU, dem „Kleinen Einladungs-Ultra“, zugelassen. Heute, am 16.1.2016 will ich mich der Herausforderung der 1450 Höhenmeter stellen, die sich über 49 Kilometer verteilen. Am Start der schlammigen Strecke im Düsseldorfer Nordosten treffe ich inmitten der vielen bekannten und mir neuen Trailfans auch auf die erstaunte Betty.
 
Ausblick vom Sandberg auf Düsseldorf
Im eisigen Wind bibbern wir dem Start um neun Uhr entgegen. Über Nacht hatte die ungewöhnliche Warmzeit nun auch im Rheinland ihr Ende gefunden. Vereinzelte Schneeflocken versuchen, den Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt noch eine Weile zu trotzen. Ich versuche es auch. Mein Ansinnen wird durch Race-Direktor Jochen unterstützt, als er unsere Transponder für die elektronische Zeitmessung aktiviert und uns damit Erwärmung durch Loslaufen ermöglicht. Einst zog Henry Maske zu den Klängen von „Conquest of Paradise“ in den Ring. Wir begeben uns mit dieser musikalischen Untermalung auf den feuchten Kurs.
 
Beim Streckentest war es noch so trocken
Fünfmal gilt es, die 9,8 Kilometer lange Runde zu absolvieren. Und schon nach 700 Metern stecken wir knöcheltief im Schlamm. Wie gut, dass ich nach langer Zeit wieder die wasserdichten Socken rausgekramt habe! Noch laufe ich im Führungsquartett mit. Doch der erste Berg trennt die Spreu vom Weizen. Ich muss dabei zusehen, wie der Weizen seinen Abstand immer weiter ausbaut.

„Zwei links – zwei rechts – eine zur freien Verfügung“, hatte es in der Ausschreibung geheißen. Ich laufe also auch die zweite Runde entgegen dem Uhrzeigersinn. Hatte ich das Führungsduo eben noch am VP getroffen, so ist es jetzt nicht mehr in Sichtweite. Auch hinter mir ist plötzlich keiner mehr zu sehen. Erst als mir etwa auf der Streckenhälfte die beiden Sieg-Aspiranten begegnen, geht mir auf, dass die anderen die Richtung nach jeder Runde wechseln, wie es in den Vorjahren üblich gewesen zu sein scheint. Ich laufe also ein sehr einsames Rennen. Damit gelingt mir, woran Walter Ulbricht scheiterte: „Überholen ohne Einzuholen“. Nach der zweiten Runde finde ich mich auf Platz Zwei wieder. Die dritte Umdrehung starte ich nun in Gegenrichtung und treffe nach wenigen Metern auf Sven. Ihn hatte ich heute eigentlich auf Sieg gesetzt. Er bedeutet mir aber, dass er das Rennen beenden wird.
 
So sonnig war es beim Fototermin eine Woche zuvor
Während der ersten beiden Runden fühlte ich mich noch so gut, dass ich sogar einen Start beim Marathon in Pulheim am Folgetag im Bereich des Möglichen sah. Inzwischen werde ich mit der Realität konfrontiert. Nein, ich werde nicht mehr alle Anstiege durchlaufen können. Und ich werde wohl auch länger als fünf Stunden benötigen. Außerdem läuft es sich in Gegenrichtung schwerer. Die Strecke ist mittlerweile „gut durch“. Der einsetzende Schneeregen tut sein Übriges. Und die Rinne hinunter zur Bahnunterführung erinnert eher an eine Rutsche. Hier bin ich schon einmal bei einer Neanderlandsteig-Erkundung gestürzt. Heute schlittere ich auf meiner rechten Seite liegend zu Tal. Als ich dachte, ich könne den Lauf „auf einer Arschbacke abreiten“, hatte ich das nicht ganz so wörtlich gemeint.

Immer wenn ich mich an der üppigen Verpflegungsstelle labe, bedaure ich die armen Betreuer, die hier in der Kälte ausharren müssen. Wir Läufer haben eindeutig den besseren Job, können wir uns doch durch Bewegung warm halten. Und noch einen Grund zur Freude habe ich. Gemäß der alten Weisheit, dass Vorbereitung neunzig Prozent des Erfolges ausmacht, hatte ich vor sieben Tagen den GPS-Track schon einmal abnavigiert (und die sonnigen Streckenfotos aufgenommen). Dass ich dabei 11,4 Kilometer sammelte, zeigt, wie wertvoll diese Übung war. Trotzdem verlaufe ich mich zweimal beim ersten Versuch in die „falsche“ Richtung. Andersrum sieht eben alles anders aus.


Den Zusatzmetern und den schwindenden Kräften zum Trotz, gelingt es mir, den zweiten Platz bis ins Ziel zu retten, das ich nach 5:13:15 erreiche.

Nach und nach treffen immer mehr Finisher ein. Wir scharen uns, in Decken gehüllt, um einen Propangasbrenner und lassen den Lauf bei Lagerfeuerromantik ausklingen. Wir erzählen von früher, als das Leben noch hart, der Winter noch kalt und die Strecke noch anspruchsvoll war. Dagegen waren die Bedingungen heute viel zu einfach: „Einmal kam ja sogar kurz die Sonne raus, da hätte ich am liebsten aufgehört!
 
Durch das Loch konnte das Wasser gleich wieder raus

Montag, 11. Januar 2016

Ein Lauf durch zwei Klimazonen – der Kevelaer Marathon 2016


Männer, die Mund und Nase unter Sturmmasken verbergen, stehen neben leichtbekleideten Herren in Trägerhemd und Shorts. Zwischen diesen beiden Extrema ist die ganze Palette an läuferischer Bekleidungsvielfalt im 433 Starter starken Feld zu bewundern. Und egal was sie tragen, sie alle frieren im eiskalten Ostwind, der am Morgen des 10.1.2016 den Startblock des Kevelaer Marathon durchtost. Der Startschuss ist eine Erlösung.


Auf den ersten drei Kilometern der sieben Mal zu bewältigenden Sechs-Kilometer-Runde bläst mir der schneidend kalte Gegenwind durch die Rippen. Trotz Kappe, Handschuhen, langer Hose und Langarmshirt ist mir bei acht Grad so kalt, dass ich mich frage, ob ich diesen Lauf bis zum Ende durchstehen kann. Ich erwäge, nach der ersten Runde noch etwas zum Überziehen aus der Umkleide zu holen. Schließlich will ich hier keine Bestzeit aufstellen, sondern einen langen Tempolauf im 5:15er Tempo absolvieren.

In der zweiten Rundenhälfte knickt die Streckenführung rechtwinklig ab und verläuft windgeschützt und sonnenbeschienen am Waldrand. Urplötzlich endet das arktischen Klima und weicht tropischen Bedingungen. Ich möchte mir am liebsten Handschuhe, Mütze und lange Ärmel vom Leib reißen. Diesem Wechselspiel der Elemente werde ich für die nächsten Stunden ausgesetzt sein.

Es entsteht der Eindruck, die ganze Ultraszene habe sich ein Stelldichein gegeben, denn es wimmelt im Feld von bekannten Gesichtern. Auch viel Prominenz ist vertreten. Weltmeisterin Cornelia Bullig läuft genauso mit wie die 75-jährige Sigrid Eichner, die nach dem Marathon am Vortag heute ihrer bereits 1950 zählenden Sammlung einen weiteren hinzufügt. Die Senioren durften wohl schon zwei Stunden zeitiger starten, um auch gehend, ja teilweise fast hinkend, bis zum Zielschluss die Distanz zu bewältigen. Mein temporärer Begleiter stellt die Frage, ob diese Fortbewegungsart denn noch etwas mit Marathonlaufen zu tun habe. Aus meiner vergleichsweise jugendlichen Perspektive erlaube ich mir besser kein Urteil. Insgeheim hoffe ich, in dem Alter noch mindestens so aktiv sein zu können.

Es gibt nicht nur angenehme Begegnungen. Auf den ersten Blick erkenne ich einen Läufer, dessen Erscheinung sich vor Jahren beim Düsseldorf Marathon tief in mein Gedächtnis grub, als er sich meinen ewigen Zorn zugezogen hat. Damals schleppte ich mich demoralisiert und vom Hammermann aller Zeitziele beraubt in einer Gruppe dahin. Es war für mich der Auftakt zu einer Serie vergeblicher Bestzeitenversuche, die mir letztlich die Freude am Straßenmarathon genommen und die Tür zum Landschafts- und Ultralaufen geöffnet hat. Unser Trupp wurde damals von ebenjenem Läufer ständig umtänzelt, und wir mussten dabei seinen geistigen Ergüssen lauschen. Weglaufen konnten wir ja nicht. Er hingegen sprang munter voraus, drehte sich rückwärtslaufend zu uns um und ließ uns abschließend wissen: „Hach, jetzt muss ich aber langsam mal einbrechen, sonst bin ich ja viel zu zeitig im Ziel!“ Ob er uns mit voller Absicht quälte oder einfach nur wenig Feingefühl besaß?  Egal, wir werden in diesem Leben keine Freunde mehr.
 
Schlange zur Startnummernausgabe
Eine Startnummer vor der Brust entfaltet ja doch immer eine gewisse Sogwirkung. In meinem Fall ist es heute allerdings ein Schub, denn ich habe das am Nummernband flatternde Papier wegen des Windes auf meine Rückseite verschoben. Und so bin ich von Anfang an schneller als geplant unterwegs. Als mich ein Mitstreiter mit einer 5er Pace überholt, denke ich mir: „Der will bestimmt 3:30 laufen. Jetzt bist du ohnehin zu schnell, da kannst du auch mit ihm laufen.“ Beim Halbmarathon sind wir jedoch eine gute Minute zu langsam für dieses Vorhaben. Da müssen wir wohl etwas beschleunigen. Die Kilometerzeiten liegen jetzt zwischen 4:50 und 5 min.

Immer wenn wir windgeschützt zwischen den Wäldern entlangkommen und der Blick über die Felder und die topfebene Landschaft frei wird, genieße ich den Anblick der Szenerie und die wärmenden Sonnenstrahlen. Jedesmal denke ich, wie wunderbar ich diesen Sonntag verbringe - mit Bewegung an frischer Luft unter stahlblauem Himmel. Nicht jeder scheint mein Wohlgefühl zu teilen. Vor mir beugt sich jemand über den Rinnstein, während der Wind ihm sein Erbrochenes aus dem Gesicht reißt. Ohne sich auch nur den Mund abzuwischen, richtet sich der Mann wieder auf und spurtet uneinholbar von hinnen.


Da ich neulich irgendwo gelesen habe, dass Endbeschleunigung beim Training sehr wichtig sei, um Einbrüche gegen Ende eines Wettkampfes zu vermeiden, plane ich, die letzte Runde als die schnellste zu laufen. Da ich trotzdem nicht im Marathonrenntempo unterwegs bin, nehme ich ernüchtert zur Kenntnis, wie sehr ich doch um die Geschwindigkeit kämpfen muss.

Um zwei Minuten verpasse ich den dritten AK-Platz, als ich nach 3:28:04 einer der 385 Finisher werde. Ein Erdinger später kommt mein Mitläufer ebenfalls noch sub 3:30 ins Ziel (es sind nur 0,33 l Flaschen) und bedankt sich überschwänglich: „Ohne dich hätte ich das nicht geschafft!“


Bei aller Ziel-Euphorie bleibt das schale Gefühl, es mit dem Tempo ein wenig übertrieben zu haben, will ich doch bereits am nächsten Samstag einen „Kleinen Einladungs-Ultra“ laufen.