Dienstag, 26. April 2016

Düsseldorf Marathon 2016

Schneidend kalter Wind bläst vom Rhein ins Starterfeld. Der Temperatursturz auf drei Grad wird den Bestzeitenjägern entgegenkommen. Üblich waren in den Vorjahren urplötzlich auf sommerliche Werte gestiegene Temperaturen, die so manchen Bestzeitentraum über Nacht platzen ließen. Auch ich war schon dreimal davon betroffen.

Kein Strandwetter in Düsseldorf

Heute steht für mich jedoch nur ein letzter langer Tempolauf vor der TorTour auf dem Plan. Würde ich der Vernunft gehorchen, müsste ich ihn ausfallen lassen. In der Vorwoche hatte ich mir eine Verletzung zugezogen. Die spontan eingeschobene Intervalleinheit im Stadion war mein Körper nach den vielen ruhigen, langen Wald-Läufen wohl nicht mehr gewohnt. Er reagierte mit einem geschwollenen, schmerzenden rechten Schienbein.

Ein paar Tage Laufpause hatten eine minimale Besserung gebracht. Obwohl die Symptome laut ängstlicher Googelei für ein Schienbeinkantensyndrom oder sogar für einen drohenden Ermüdungsbruch stehen könnten, habe ich mich zum Start entschlossen. Wie bei den anderen in diesem Jahr gelaufenen Marathons soll eine Zeit um 3:30 dabei herauskommen.



Rolls Royce - gut getarnt am Streckenrand


Bei den großen Straßenläufen sortiert sich das Feld recht schnell, und man ist in "seiner" Gruppe unterwegs. So ergibt sich noch in den einstelligen Kilometern ein Kontakt zu Dennis, der durch sein TorTour-Buff auffällt. Wie sich herausstellt, trägt er es nicht etwa als Ausweis erbrachter Leistungen, sondern als Motivation für die erstmalige Teilnahme über 100 Meilen. Da haben sich zwei gefunden!

In gemeinsamer Plauderei fliegen die Kilometer nur so vorbei. Ich lasse mich von seinem 4:50er Tempo mitreißen. Als ich meine Freude über einen schnellen Hasen zum Ausdruck bringe, erwidert dieser verblüfft: "Und ich dachte, Du ziehst!"

Das Wechselspiel von Gegenwind und windstillen, sonnigen Abschnitten hat die Kleiderwahl heute zur Glückssache werden lassen. Mit kurzer Hose, Langarmhemd, Mütze und Handschuhen glaube ich zunächst, zu warm angezogen zu sein. Als es dann zu regnen und zu hageln beginnt, freue ich mich. Bestätigt dieses Wetter doch die Richtigkeit meiner Kleiderwahl!

Spärlicher Bekleidete sind offenbar mit Leidensmiene unterwegs. Ihnen gilt wohl der Ruf vom Streckenrand: "Lächeln! Das macht Spaß!" Da ich nicht am Limit laufe, kann ich der Aufforderung ohne Weiteres nachkommen. Und trotzdem staune ich, wie unerwartet viel Kraft es mich kostet, das einmal angeschlagene Tempo bis ins Ziel zu bringen. Gefühlt laufe ich die zweite Hälfte sogar schneller. Tatsächlich dauert sie aber vier Sekunden länger. Na gut, von einem Einbruch muss man da wohl noch nicht sprechen.


Hoch das Bein - Cheerleader am Zieleinlauf


Nicht nur vom Einbruch, auch vom Ermüdungsbruch bleibe ich verschont. Dennoch meldet das Schienbein permanent seine Anwesenheit. Gegen Ende zieht es im ganzen rechten Bein. Vermutlich sind unbewusste Ausgleichsbewegungen die Ursache. Eine Laufpause bis zum Pfingst-Ultra scheint angebracht. Auch den Endspurt lasse ich ausfallen, wodurch ich genügend Luft habe, meiner am Zieleinlauf anfeuernden Frau ein "Bis gleich!" zuzurufen. Wir sind im Anschluss zur Finisher-Party des Hauptsponsors eingeladen, um dort unsere Kohlenhydratspeicher aufzufüllen.

Zur Feier möchte ich nach dem Finish in 3:21:04 natürlich frisch geduscht erscheinen. Während meine Frau im Staffelziel die Wahl zwischen Schwall- und Regenwalddusche hatte, lässt sich in meinem Dusch-Container noch nicht mal die Wassertemperatur regeln. Ist eiskaltes Wasser im Ziel sonst keine Besonderheit, so wird man hier regelrecht heiß gedampfstrahlt. Marathon ist eben nur was für die ganz Abgebrühten. Dass sich die Umkleide unterm weiten Firmament befindet, passt in dieses Bild. Ein anderer Waschwilliger, der seine unter freiem Himmel abgelegten Sachen gegen den Sturm zu sichern trachtet, spricht das Schlusswort des heutigen Wettkampftages: "Zum Laufen waren die niedrigen Temperaturen ja ganz angenehm, aber nicht zum Umziehen im Freien!"

Die Staffelmedaillen lassen sich als Puzzle zusammenlegen

Montag, 11. April 2016

100 km "Rund um Solingen"

Wer trifft sich bei zwei Grad Celsius morgens um fünf Uhr im Freibad? Richtig, die Ultraläufer.

Im Freibad Ittertal beginnt der Freundschaftslauf "Rund um Solingen". Die siebzehn 100-km-Läufer werden die Route zweimal ablaufen. Damit es ihnen nicht langweilig wird, werden sie jedes Mal von einem frischen Trupp an 50-km-Läufern begleitet. Zur Vermeidung eines Drehwurms wird die zweite Rotation in die Gegenrichtung gelaufen.

Die Startgebühr fällt mit 25 Euro für 100 km sehr moderat aus, verdoppelt sich für mich jedoch ganz plötzlich bei der Anfahrt. Am steilen, kurvigen Abhang ins Ittertal weckt mich ein grell-rotes Blitzlicht aus meinem frühmorgendlichen Tran. Das Ordnungsamt verdient heute Morgen recht gut in dieser Dreißigerzone, bekennen doch etliche Mitläufer, ebenfalls derart erleuchtet worden zu sein.

Laufen erfreut sich hoher Popularität und auch das Ultralaufen wird immer beliebter. Sich zu nachtschlafener Zeit zu einem Hunderter zu verabreden, scheint aber doch noch nicht ganz im Mainstream angekommen zu sein. So kann man sich für die nächsten 13 Stunden illustrer Begleitung sicher sein.

Da ist zum Beispiel der Quadrathlet, der bei den Weltmeisterschaften in seiner Sportart die Bronzemedaille erkämpft hat. Quadrathlon, so erfahre ich, ist Triathlon plus Kanufahren, was mich als ehemaligen Kanurennsportler sofort begeistert. Leider ist Schwimmen aber immer noch dabei.

Ein anderer berichtet davon, wie er sich in der Sahara verirrt hat. Und ein Neu-Rentner blickt auf mittlerweile 50 Iron-Man-Finishs zurück. Damit kann er in dieser Runde aber nicht wirklich protzen, begleitet uns doch ein Siebzigjähriger, der sowohl den Transamerika- als auch den Transeuropa-Lauf absolviert hat. Doch auch die Jugend kann punkten. Eine junge Dame hatte für den 50er gemeldet, läuft aber spontan die zweiten 50 Kilometer auch noch mit.

Und nicht nur die sportlichen Leistungen beeindrucken. Jemand hat 20 Kubikmeter Sachspenden und 8000 Euro gesammelt und nach Idomeni gebracht. "Wenn dir Eltern ihr Kind in den Arm drücken wollen, damit du es mit nach Deutschland nimmst, kannst du dir in etwa eine Vorstellung von ihrer verzweifelten Lage machen."

Unterbrochen werden die interessanten Gespräche nur durch die Stopps an der mobilen Verpflegungsstation, die zunächst aller zehn, gegen Ende einer jeden Runde aller fünf Kilometer auf uns wartet. Es werden sogar Schoko-Pfirsich-Kuchen und Blätterteig-Quiche feilgeboten! Auch wenn der Witz mittlerweile abgedroschen wirkt: hier nimmt man wahrscheinlich mehr Kalorien zu sich, als man verbraucht. Dies seien 7700 gewesen, meint meine Fenix am Schluss, wo ein noch üppigeres Büffet seiner Dezimierung harrt.

Zusätzlich werden wir mit Trophäen überhäuft. Neben Urkunden und Pokalen erhalten wir noch riesige Bergische Brezeln am Halsband. Wahrscheinlich als Wegzehrung, falls jemand immer noch nicht satt geworden ist. Oder weil wir heute durchs Bergische Land gebrezelt sind?

So kann man seinen Samstag also auch rumkriegen. Ein Begleiter hatte es beim Durchlaufen des Fachwerkstädtchens Unterburg bereits auf den Punkt gebracht, als er ausrief: "Das ist ja wie Urlaub!"


Mittwoch, 6. April 2016

Generalprobe für den Endspurt zum Rheinorange

Nach dem spektakulären Natur- und Lauferlebnis beim Transgrancanaria war ich drauf und dran, meine Teilnahme an der TorTour de Ruhr abzusagen. 160 Kilometer flaches Asphalttreten? Da hatte ich absolut keine Lust drauf. Möglicherweise hat auch die Grippe, die mich zwei Wochen vom Laufen abhielt, zu meiner Unlust beigetragen. Am Ostermontag fühlte ich mich besser und testete spontan die TTdR-Strecke. Das Blatt wendete sich.

39 Kilometer Endspurt zum Rheinorange


Zum einen wollte ich die letzten, schweren Kilometer bis ins Ziel einfach mal vorab gesehen haben. Zum anderen sollten gleichzeitig die Navigation nach den Ruhrtalradweg-Schildern und dem TTdR-Track sowie das Zusammenspiel mit der Crew erprobt werden.

Meine riesige Crew besteht ausschließlich aus der Pulsmesserin, die mich im Auto begleiten und gewisse Punkte an der Strecke anfahren wird. Als ich vor rund einem Jahr mein Interesse an der TorTour bekundete, war das Ereignis noch so unbegreiflich weit entfernt, dass meine Frau diesen Monsterjob tatsächlich zusagte. Bei der Anfahrt zum Baldeneysee wird uns beiden langsam klar, was da auf sie zukommt.

"Diesen engen Feldweg soll ich jetzt langfahren? Wohin soll ich ausweichen, wenn die anderen Supporter mir hier entgegenkommen?" Letztlich erreichen wir das Seeufer, wo ich mit den Worten: "Bis nachher am Rheinorange!" in Sturm und Regen ausgesetzt werde.

Der Blick zum gegenüberliegenden Ufer versöhnt etwas mit dem unwirtlichen Wetter. Denn dort oben trohnt die Villa Hügel. Man ist hier auf der Strecke des Baldeneysee-Marathons unterwegs, wenn auch in Gegenrichtung. Auch die Route bis Kettwig kenne ich schon. Dadurch finde ich einen Weg über die Brücke in Werden. Der entspricht allerdings nicht hundertprozentig dem Track. Ich denke immer noch als Läufer, und noch nicht als Radfahrer. Schließlich folgt die Route dem Ruhrtalradweg. Noch ein paar mal werde ich unterwegs Schwierigkeiten haben, mich in meine Rolle als laufender Radler einzufühlen. Auch in Essen-Kettwig bin ich versucht, die kürzere Läufer-Variante zu nehmen.

Auf den Brücken bläst der Wind so stark, dass ich die Mütze festhalten muss. Insgesamt scheint das Tal aber Schutz vor dem Sturm zu bieten. Frau Pulsmesser erwartet angesichts ihrer Wetterbeobachtungen permanent meinen Anruf, mit dem ich mich von der Strecke retten lasse. Mache ich natürlich nicht.

Stattdessen genieße ich die Landschaft. Erfreut stelle ich fest, dass ich deutlich weniger auf Asphalt unterwegs bin, als befürchtet. Und als es urbaner wird, bekomme ich sogar einige Sehenswürdigkeiten vorgeführt. In Mülheim laufe ich hinterm Schloss Broich über die Kfar-Saba-Brücke in den MüGa-Park. Dort sprudeln die Fontänen inmitten einer Blütenpracht, die ein paar Sonnenstrahlen verdient hätte.

MüGa-Park, Foto by
Tuxyso / Wikimedia Commons / CC-BY-SA-3.0

Schon von Weitem sehe ich den Turm des Aquarius-Wassermuseums. Gleich dahinter liegt Schloss Styrum, umgeben von einer Mauer. Daher sieht der Läufer nicht viel davon. Aus dem Augenwinkel nehme ich im Vorbeiflitzen eine Glasscheibe wahr. Die hat man wohl extra für neugierige Blicke ins Gemäuer eingelassen. Aber um umzukehren fehlt mir die Muse. Auch Fotos mag ich bei dem Wetter nicht schießen.

Aquarius-Turm, Foto by
Tuxyso / Wikimedia Commons / CC-BY-SA-3.0

Die letzten zehn Kilometer durch Stadt- und Hafengebiet werden im Wettkampf wohl einiges an mentaler Härte verlangen. Es geht direkt an der A3 entlang. Und hier verlaufe ich mich auch noch! In der nächsten Bushaltestelle suche ich Unterschlupf vor einem starken Guss und ziehe das Handy zu Rate. Ich war auf der falschen Seite der Autobahn gelaufen, was die Wurmnavigation auf der Uhr noch nicht als Abweichung gewertet hat. Ich werde also noch eine Powerbank anschaffen müssen, um das Handy während der TTdR am Leben zu halten.

Auch im Hafen vertue ich mich nochmal, kann das aber mit dem beherzten Überqueren von ein paar Gleisen korrigieren. Ich bin damit wohl nicht der einzige. Es gibt schon einen Trampelpfad.

Rheinorange
Dann die ersten Wegweiser zum "Rheinorange". Schließlich ist das Sehnsuchtsziel in Sicht. Minuten später - nach einem finalen Verlaufer in einer Baustelle - schlage ich mit einer Vorab-Ausgabe der pfingstlichen Gänsehaut an der Ziel-Stele an.

Kilometer 147 bis 181


Die Crew und ich verspüren nach diesem initialen Test die Notwendigkeit, das Supporten noch ein wenig mehr zu üben. Und so setzt mich die Pulsmesserin am Samstag darauf bei Kilometer 147 aus. Zur Anfahrt nutzen wir die Koordinaten für "km 147" aus der "offiziellen" Auto-Support-Punkte-Liste. Dort angekommen, zeigt sich, dass der Wegpunkt "km 147" des Tracks 750 Meter ruhraufwärts liegt.

Ich begebe mich auf den ehemaligen Bahndamm und folge der Route. Liegt es am herrlichen Wetter? Oder bin ich jetzt als Rad-Läufer geübter? Dieses Segment ist so perfekt beschildert, dass ich den Track nur einmal brauche, als es die Alternativroute über die Brücke zu nehmen gilt. Sonst hätte ich auf die Fähre warten müssen.

Ruhrfähre
Am Kemnader See scheint man auf reichlich (Pfingst-)Ausflügler eingestellt zu sein. Es gibt hier separate, räumlich voneinander getrennte Wege für Fußgänger, Inline-Skater und Radfahrer. Ich bin ja jetzt Rad-Läufer und nehme folglich den Radweg. Schließlich verläuft dort der offizielle Track. Und ich bin mir nicht sicher, wo der Fußweg letztlich hinführt. Nicht immer ist er in Sichtweite. Obwohl heute der Radweg die am wenigsten frequentierte Route zu sein scheint, fühle ich mich ein wenig als Störenfried. Ich laufe in der permanenten Erwartung, von einem Velo-Piloten angemotzt zu werden. Doch alle tolerieren mich.

Die Wegführung ist wegen kürzlichen Hochwassers sehr "ruhrnah". Teilweise umgehe ich in der Böschung die noch unter Wasser stehenden Bereiche. Aber sonst ist es ein tolles Gefühl, wenn der Wasserspiegel direkt auf Weghöhe liegt und bis an den Asphalt heran reicht. Ich laufe im Wortsinn unmittelbar am Wasser. Überhaupt gefällt mir die Gegend. Sogar ein paar schroff-felsige Hügel sind zu bewundern.

An der Ruhr
Der Wegverlauf scheint teilweise mit dem des WHEW identisch zu sein. Denn unterwegs treffe ich einen Läufer, der für diesen Lauf übt. Er macht bereits Gehpausen, so dass ich ihn einholen kann. Und auch ich mag nicht mehr lange laufen und sehne Kilometer 181 herbei, wo meine Frau mich aufnehmen soll.

Endlich habe ich den Wegpunkt "km 181" des Tracks erreicht. Es gibt dort auch die erwartete Kneipe. Nur meine Frau ist nicht zu sehen. Sie wartet an Kilometer 181 aus ihrer Auto-Liste - eine Kneipe weiter. Die liegt 2,6 Kilometer von mir entfernt. Also raffe ich mich noch einmal auf, um aus den geplanten 34 Kilometern noch 37 zu machen. Zum Lohn gibt es dann eine Einkehr am Treffpunkt in der "Bar Celona".

Die beiden Tests auf der zweiten Hälfte der 100 Meilen überraschten mit einer Gegend nicht ohne Liebreiz und haben meine Lust auf die TTdR wiedererweckt! Nur die Auto-Wegpunkte muss ich vorher noch dringend in den Track einpflegen.