Mittwoch, 28. September 2016

Wupperberge(trail)marathon

Schneller sein als letztes Jahr. So lautet der jeder Grundlage entbehrende Plan für den Wupperbergemarathon am 25.9.2016 mit seinen rund 1500 Höhenmetern. Erst seit fünf Wochen wieder im Training und dabei so gut wie keine Höhenmeter gesammelt - aber schneller sein wollen! Ein entscheidendes Plus kann ich trotzdem für mich verbuchen. Diesmal kenne ich die Strecke und kann versuchen, anfangs besser mit meinen Kräften zu haushalten.

Deshalb gehe ich konsequent den ersten längeren Anstieg hinauf zum Schloß Burg, wo ich im Vorjahr noch komplett hochgerannt war. Meine anfängliche Euphorie hatte ich damals mit einem Einbruch bei Kilometer 25 bezahlt.

Als es auf der anderen Seite wieder zu Tale geht, stürzt der Läufer vor mir aus vollem Galopp. Das sieht ziemlich spektakulär aus. Aber er kommt mit ein paar Abschürfungen davon. Dann hole ich die führende Frau wieder ein, die mir am Schloßberg weggelaufen war. Sie stapelt tief, denn sie meint, dass sie "sowas" nicht so oft mache. Was mag sie mit "sowas" wohl gemeint haben? Marathonlaufen wohl eher nicht, denn sie hat den Duisburg-Marathon schon mehrfach in Folge mit Zeiten unter drei Stunden gewonnen. Landschaftsläufe meint sie bestimmt auch nicht, denn beim Monschau- und beim  Siebengebirgsmarathon hat sie schon als Siegerin auf dem Treppchen gestanden. Dann muss sie "Traillaufen" gemeint haben. Denn nachdem wir bis etwa Kilometer Acht gemeinsam unterwegs waren, verliere ich sie bergab auf irgendeinem der steilen, schmalen Pfade, die sie etwas vorsichtiger in Angriff nimmt. Der Organisator hat den Lauf inzwischen von "Wupperbergemarathon" auf "Wupperberge(trail)marathon" umbenannt, um den hohen Single-Trail-Anteil der Strecke gebührend zu würdigen.

Talblick auf der Strecke (Archiv)

Wieder einmal geht es sehr lange auf engem Steig bergab. Links der Hügel, rechts der Abgrund. Rund 50 Meter vor mir stürmt ein Läufer talwärts. Ich hinterher. Bremsen unmöglich. Ein rüstiger Rentner kommt uns entgegen. Statt ein klein wenig zur Seite zu rücken, baut er sich mitten im Weg auf und wirbelt mit meinem Vordermann herum, als dieser vorbeistürmt. Was genau da abläuft, bekomme ich nicht wirklich mit. Weiß nur, dass ich volles Rohr in den Abgrund stürze, wenn der alte Herr nicht ein paar Zentimeter Platz macht. Doch obwohl ich noch einen freundlich formulierten Warnruf absetze, baut er sich auch vor mir wieder in der Wegmitte auf. Es ist nicht meine Art, Opas zu schubsen. Aber in dieser Situation lässt sich ein leichter Körperkontakt nicht vermeiden, wenn ich das sturzfrei überstehen will. Opa quittiert dies mit lautem Macho-Genöle. Aber niemand kommt zu Schaden.


Schaden nimmt jedoch meine Glaube. Am Fuße des Hügels glaube ich nicht mehr an meine Streckenkenntnis. Denn jetzt geht es auf einer Mountain-Bike-Piste steil und ohne jede Serpentine wieder hoch. Es stellt sich heraus, dass der Veranstalter zwei neue Zusatz-Berge in die Route eingebaut hat!

 "Siehst du Pfeile?", lässt sich eine Frauenstimme hinter mir vernehmen, als ich gerade irgendwo mit den Händen vorm Gesicht durch die Zweige peitsche. "Nein, aber auch noch keine Sterne.", denke ich, antworte jedoch: "Nein, aber wir sind richtig!" Markierungen sind zwar nicht zu sehen, aber das kleine Dreieck auf meiner Uhr bewegt sich genau auf dem Track. Als ich mich umdrehe, erkenne ich sofort, dass es sich um die ehemalige Deutsche Berglaufmeisterin handelt. Denn wir haben eine Gemeinsamkeit. Jaha, ich habe was mit einer Berglaufmeisterin gemeinsam! Na gut, es ist nur das Trainingsgebiet. Wir laufen nämlich beide in Düsseldorfs Grafenberger Wald, wo sich gelegentlich unsere Wege kreuzen. Als sie überholt, fällt auf, dass sie gelb-beringt ist. Wir Marathonläufer tragen stattdessen ein grünes Armband. Dann dürfte sie die potenzielle Siegerin des in diesem Jahr erstmals ausgetragenen Halbmarathons sein. Scheinbar hat sie Orientierungsschwierigkeiten, jedenfalls überholt sie mich einige Zeit später ein weiteres Mal.

Und noch eine Frau taucht auf. Ein paar Serpentinen unter mir sehe ich sie heranstürmen. Doch wo bleibt sie bloß? Es dauert recht lange, bis sie sich an meiner Seite zeigt. Ein Sturz dürfte Ursache für die Verzögerung sein, denn ihr Gesicht ist blutüberströmt. Dessen unbeirrt rennt sie weiter. Das nenne ich wahren Kampfgeist! Wir sind lange gemeinsam unterwegs, bis sie sich entscheidet umzukehren. Sie vermisst die speziellen gelben Pfeile, mit denen der Halbmarathon markiert sein soll. Das ist schade, besonders angesichts der blutigen Vorgeschichte, denn tatsächlich gilt die rosafarbene Marathonmarkierung für beide Strecken. Nur Abweichungen werden mit den gelben Pfeilen angezeigt.

Von allen Frauen verlassen, muss ich es jetzt ohne weibliche Unterstützung bis ins Ziel schaffen. Auch diesmal schwinden mir an der 25-km-Marke die Kräfte. Aber ich nehme es gelassen. Es ist heute einfach zu schön im Wald, um mit dem Schicksal zu hadern. Das Wetter hat uns noch einen Sommertag mit bis zu 26 Grad gegönnt, obwohl das Laub schon goldene Herbstfarben im Sonnenlicht erstrahlen lässt. Es ist der reine Genuss! Einerseits. Andererseits ist es auch ganz schön warm. Ich bin komplett mit einer Schweißschicht überzogen, die sich mit dem Staub des ausgetrockneten Waldbodens zu einem stinkenden Film vermischt. Von Zeit zu Zeit weht mir eine Wolke meines eigenen Geruchs in die Nase. Ein Grund, schneller zu laufen, um die Wolke hinter mir zu lassen!

Aber mit dem Schnellerlaufen ist das so eine Sache. Für mein Zeitziel müsste ich etwa einen sechser Schnitt auf der Uhr haben. Die zeigt mittlerweile aber Werte deutlich darüber. Davon lasse ich mich dummerweise demoralisieren und gebe die Zeitvorgabe verloren. Zu zeitig, wie mir am letzten Verpflegungspunkt bewusst wird. Denn der war für km 37 angekündigt. Meine GPS-Messung steht aber erst bei 35. Die Pace-Anzeige gaukelt mir also ein zu langsames Tempo vor. Viel kann ich jetzt nicht mehr ausrichten. Und dann verlaufe ich mich auf den letzten Kilometern auch noch. Suche irgendwo im Gebüsch nach einem Pfad, obwohl der doch ganz deutlich sichtbar genau am Abbiegepfeil beginnt. Ist wohl doch ein bisschen zu warm heute!

Letztlich brauche ich fünf Minuten mehr als im Vorjahr und bin nach 4:24:43 im Ziel. Es wurden insgesamt etwas langsamere Zeiten gelaufen, was an den höheren Temperaturen und den beiden zusätzlichen Anstiegen liegen könnte. Schaffte ich es im Vorjahr auf den sechsten Platz, reicht es diesmal sogar für den fünften. Somit bin ich letztlich zufrieden, obwohl ich heute die langsamste jemals von mir gelaufene Marathonzeit zu den Büchern nehme.

Mittwoch, 7. September 2016

Kö-Lauf Düsseldorf - Halbmarathon auf der Kö

Früher hieß er Kö-Lauf und war maximal 10 km lang. In diesem Jahr findet zum ersten Mal auch ein Halbmarathon statt, was zu einem neuen Namen und dem verwirrenden Hinweis auf der Veranstalter-Seite führt: "Der Stadtwerke Düsseldorf Halbmarathon auf der Kö feiert am Sonntag den 4. September seine 29. Auflage." Ob erstes oder 29. Mal, das Schönste an dem Lauf ist für mich die Nachmeldung.

Das Ziel ist nicht das Ziel
Nur am Vortag und nur auf der Kö (also der Düsseldorfer Königsallee) ist eine nachträgliche Registrierung möglich, wenn man, wie ich, die Anmeldefrist versäumt hat. Bei Sommerurlaubswetter trete ich zu einem 30-km-Lauf heraus, dessen Wendepunkt das Nachmeldebüro inmitten Düsseldorfs teurer Pracht- und Flaniermeile bilden wird. Man hat dort einen Zielbogen errichtet. Ich übe gleich mal das Durchlaufen in Jubelpose. Zu früh gefreut. Das ist der falsche Bogen. Hier endet eine Oldtimer-Rallye. Oldtimer? Passt ja doch irgendwie. Musste ich mir neulich doch anhören, dass es in meinem Alter ja nun langsam mit dem Höher-Schneller-Weiter vorbei sei. Ein Omen für den morgigen Lauf?

Oldtimerrennen auf der Kö - auch schon am Vortag
Völlig verschwitzt mische ich mich ins samstägliche Getümmel der edlen Kö-Galerie. Der Weg zur Nachmeldung führt durch die Reihen der Sitzplätze eines hochpreisigen, italienischen Restaurants, wo Einkäufer in feinem Zwirn ihre Mahlzeit genießen wollen. Statt von Pastaduft werden sie von meinen Ausdünstungen umwölkt. Entsprechende Blicke ernte ich. Derart abgehärtet setze ich auf dem Rückweg noch einen drauf und kehre beim Veganer ein. Immerhin belege ich  rücksichtsvoll einen Platz im Freien, wo ich erwartungsgemäß allein am Tisch bleibe.

Veganes Loading ohne Carbo
Am Wettkampftag reise ich doch lieber nicht zu Fuß an, sondern nehme das Fahrrad. Das Wetter, das gestern noch der bayrischen Landesfahne zu aller Ehre gereicht hätte, ist über Nacht umgeschlagen. Einem Starkregenschauer gefällt es, genau auf meiner Route hernieder zu gehen. Dank Goretex bleiben Leib und Füße trocken. Nur das Höschen ist schon vorm Start feucht.

Die Kollegen vom TuS Lintorf, die den Zehner schon hinter sich haben, raten zu einer Aufstellung in der vierten Reihe, da anderenfalls ob des Gedränges auf dem engen Kurs keine 1:30er Zeit zu laufen sei. Mein letzter Halbmarathonstart ist lange her. Im November 2014 hatte ich mit einer persönlichen Bestzeit von 1:26:05 die Latte so hoch gelegt, dass ich unterbewusst wohl bisher ein erneutes Antreten auf dieser Distanz gescheut habe. Heute, erst seit zwei Wochen wieder im Training, muss ich froh sein, wenn ich überhaupt die 1:30 schaffe. Somit folge ich dem Aufstell-Tipp.

Beinahe könnte ich den eingekauften Kenianern, die mit Bestzeiten von 1:01 und 1:02 gemeldet haben, von hinten auf die Schulter fassen. Ich komme mir etwas deplatziert vor. Doch mit dem Startschuss stellt sich heraus, dass die Stelle optimal war. Es ist kaum Bewegung im Feld, von Gedränge keine Spur. Auf eine 1,1-km-Einführungs-Kö-Runde folgen vier 5-km-Schleifen, die neben der Königsallee auch den neuen Kö-Bogen und die angrenzenden Parks beinhalten. Außer Asphalt werden den Startern auch Parkwege, Pfützen, rechte Winkel und leichtes Auf-und-Ab geboten. Mir gefällt's, war ich doch beim bisherigen, ausschließlich auf der namensgebenden Straße stattfindenden Kö-Lauf wegen des Gerangels auf der kleinen Runde kein zweites Mal gestartet.

Nach planmäßig absolvierten ersten Kilometern passiere ich erneut den Einheizer am Ende der Königsallee. Mit mächtigen Bässen verleiht Bonnie Tyler ihrem Bedürfnis Nachdruck: "I need a hero!" "Ja, ja, Bonnie, ich komm' ja schon!" Mir geht es durch und durch. Und dann geht es mit mir durch. Ganz unerwartet zeiht es mich in ein Läuferhoch. Mit Gänsehaut und feuchten Augen fliege ich um die Ecke. Ich will nur noch laufen, laufen. Ungestüm fange ich an zu überholen, bis die Wirkung meiner Droge plötzlich nachlässt. 4:03 min für diesen Kilometer war wohl etwas schnell. Aber allein diese paar Momente voller Glückseligkeit waren die 35 Euro Startgebühr wert.

Von  nun an geht es nur noch bergab. Der Mut sinkt, während die Pace steigt. Immerhin - der treue Leser wird sie schon vermisst haben - die obligatorische Frau wird noch überholt. Später stellt sich heraus, dass es die Drittplatzierte war.

Ich höre Pfiffe. Werde ich für meine miserable Leistung auch noch ausgepfiffen? Nein, von hinten naht der Führungs-Radler und pfeift eine Gasse für den Sieger herbei. Dabei hätte es gar keiner zusätzlichen akustischen Signale bedurft. Schlabbernd und schmatzend lässt sich der platte Vorderreifen vernehmen, den der bedauernswerte Offizielle über den Kurs quält. Im Gegensatz zu mir darf sich der arme Mann kein Schwächeln erlauben und muss schneller als der Führende bleiben! Seltsamerweise nehmen der Radler und die beiden Kenianer den Parallelweg ein Beet weiter, während das Feld vom Streckenposten die Abkürzung geschickt wird.

Vor mir läuft Guido Gallenkamp, der mit dem "Zuckerspiel" selbst einen Halbmarathon organisert. Er applaudiert dem schnellen Afrikaner, als ihn dieser überholt. Er applaudiert dem Zweitplatzierten, als dieser ihn überholt. Dann überhole ich ihn. Und er applaudiert mir! Ja, Dritter wäre ich gern. Seinen kleinen Irrtum überspiele ich mit den Worten: "Dein Zuckerspiel habe ich auch noch auf der Liste!" 

Im Weiterlaufen werden mir zwei Dinge klar. Wenn ich so munter plaudern kann, agiere ich offenbar nicht am Limit, wie es sich für einen Wettkampf gehören würde. Und zweitens fällt mir ein, dass  Guido auch den WHEW veranstaltet, einen 100-km-Lauf, der noch viel weiter oben auf meiner Liste steht.

Viele Kilometer und noch mehr negative Gedanken später - es muss so um die 18er-Marke herum sein - ruft es an meiner Seite: "Plötzliche Wiederauferstehung, mein Freund!". Es ist Guido, der sich hier zu einem Endspurt anschickt. "Nimm mich mit!", fordere ich ihn auf. Mein Kampfgeist ist wieder geweckt. Alles nur Kopfsache! Gemeinsam bahnen wir uns einen Weg durch die Überrundeten, und ich finde mich auf einmal vor meinem Motivator wieder. Seiner Schritte hinter mir gewiss, zeigt die Uhr noch drei anständige Zwischenzeiten, bevor wir kurz nacheinander den Wettkampf beenden.

Erdinger alkoholfrei, Aggregatzustand: fest
Nach glatten 1:32 im Ziel, überrascht dort die Firma Erdinger mit einem Bier-Riegel. Offenbar sind die Bayern fest entschlossen, die Zielversorgung komplett an sich zu reißen. Wann kommt die Erdinger-Banane?