Montag, 11. Dezember 2017

Siebengebirgsmarathon – 7G 2017

Der Siebengebirgsmarathon ist erwachsen geworden. Er wird heute zum 18. Mal ausgetragen. Auch ich feiere ein kleines Jubiläum, es ist meine fünfte Teilnahme in Folge.

Kurze Hosen, bare Köpfe und unbedeckte Hände sind im Starterfeld zu sehen. Nicht jeder scheint einen Blick in die Wettervorhersage geworfen zu haben, die einen Schneesturm während des Laufs prognostiziert. Ich habe mich entsprechend warm angezogen und verfluche mich auf den ersten acht Kilometern dafür, weil ich so stark schwitze. Dann fängt es endlich an zu schneien.

Die Halbmarathon-Medaillen harren der Finisher

Winzige Eiskristalle treibt der Wind waagerecht durch den Wald und injiziert sie in meine Wangen. Ich beneide die Starter, die sich eine Sportbrille aufgesetzt haben. Denn ich kann meine Augen nur durch Blinzeln gegen die harten Körner schützen. Dabei frieren dummerweise immer wieder die Wimpern zusammen.

Das Wetter entspricht in etwa dem "Stirb langsam 2"-Szenario, in dem kurz vor Weihnachten der Flughafen wegen eines Blizzards geschlossen wird und alle Reisenden festsitzen. Ich erwarte, dass jeden Moment Bruce Willis im blutigen, zerrissenen Unterhemd auftaucht. Was ich nicht ahne: der Düsseldorfer Flughafen schließt tatsächlich gerade.

Morgendliche Temperaturanzeige am Bürgerhaus
Ich bin froh, dass die Halbmarathonis schon eine Stunde vor uns gestartet und somit längst im Warmen sind. Scheinbar konnte ich nämlich die Trailbegeisterung an den Nachwuchs übertragen. In seinem Umfeld gibt es Anerkennung für schnelle Zeiten, die auf flachem, meist asphaltiertem Untergrund erzeugt werden. Trotzdem begleitete er mich heute ins verschneite Siebengebirge, um sich der anspruchsvollen Halbmarathon-Strecke zu stellen.

Inzwischen sind die Kilometer-Schilder nicht mehr lesbar, weil sie vom Schnee zugeweht wurden. Aber ich habe jetzt die erste Hälfte und damit mein mentales Loch hinter mir. Wie schon bei den Läufen in den letzten Tagen, fragte ich mich, wann ich endlich aufhören darf. Irgendeine seltsame, allgemeine Unlust hatte sich meiner bemächtigt. Doch nun, im zweiten Teil, bin ich "über den Berg". Die morgendlichen Worte des Moderators hallen in meinem Kopf nach: "Aufgegeben wird bei der Post!"

Auf dem vereisten Weg zum Start
Die Läufer vor mir verschwinden hinter der Wand aus Schnee, die der Wind seitlich über den Weg peitscht. Um die hagelgepeinigten Wangen etwas zu entlasten, ziehe ich mir die Kapuze der "Montane Minimus"-Jacke über den Kopf, so dass nur noch Nase und Augen den Elementen ausgesetzt sind. Dieses Ausrüstungsstück wird in Trailrunner-Kreisen oft hoch gelobt. Ich bin eigentlich nicht so zufrieden mit der Jacke, da ihre Wasserdichtigkeit in meinen Augen unzureichend ist. Aber heute ist sie jeden einzelnen Cent ihres Kaufpreises wert!

Die Helfer an den Verpflegungspunkten sind die eigentlichen Helden des Tages. Sie stehen völlig ungeschützt im Schneetreiben. Immer wenn ich mir auf ihren Tischen ein paar gefrorene Bananenstücke aus dem Schnee grabe, muss ich voller Mitleid an Elke denken, die sich angeboten hat, eine Labestelle bei meinem BaTalU am 6.Januar zu betreuen.

Läufer suchen Windschutz vorm Start
Die Inuit wüssten jetzt das passende ihrer 50 Wörter für Schnee anzuwenden. Aus den kristallinen Eisinjektionen sind große, weiche Flocken geworden. Dadurch wächst die Schneeschicht am Boden schneller als bisher. Die offenbar gestiegene Temperatur kommt aber nicht bei meinen Händen an. Mittlerweile sind die Fingerspitzen meiner Handschuhe hartgefroren und eisverkrustet. Kein Wunder, dass es sich drinnen nicht viel wärmer anfühlt. Der Handschuh, in dem ich warme Finger behalte, wurde noch nicht erfunden. Aber jetzt ist es nicht mehr weit.

Kurz vorm endgültigen Verlassen des Waldes überhole ich die dritte Frau, die letztens beim Platinman gewann und ein paar Minuten vor mir durchs Ziel lief. Auch sie trägt unzureichende Handschuhe und bläst sich immer wieder in die Hände.

Armkreisen (links) und Hüpfen am Ort (rechts)
Ganz anders "Mr. Tambourinman". Ich war mir nicht sicher, ob er auch unter diesen unwirtlichen Bedingungen am letzten Anstieg aufspielen würde. Man hört ihn eher, als man ihn im Schneetreiben erkennen kann. Fröhlich trommelt und pfeift er wie jedes Jahr. Unglaublich, dieses Helfer-Team!

Am Start wurde ich gefragt, wie schnell ich laufen wolle. Ich hatte "3:45 bis 4 Stunden" geantwortet. Ein Code, der in Läuferkreisen für "unter 3:45" steht, einen im Zweifelsfall aber das Gesicht wahren lässt. Die Uhr offenbart, dass ein ordentlicher Endspurt über die letzten Kilometer die herausposaunte Zeitvorgabe retten kann. Ich gebe Gas - und bewirke gar nichts. Die Rädern drehen einfach durch. Im nun urbanen Umfeld läuft es sich schlechter als im Wald. Unter dem frischen Schnee verbirgt sich die Glätte einer festgefahrenen Schneedecke. Der Endspurt muss ausfallen.

Nach 3:46:20 umfängt mich die Wärme der gut geheizten Zielhalle. "Yippiejayeah Schweinebacke!"





Freitag, 1. Dezember 2017

Einladung zum BaTalU, dem 1. Bach-Tal-Ultra

Nach vielen Teilnahmen an privat organisierten Einladungsläufen geisterte schon lange die Idee in meinem Hinterkopf herum, der Gemeinschaft etwas zurückzugeben und selbst einen Lauf zu veranstalten. Herausgekommen ist der BaTalU - ein 62-km-Ultralauf am 6.1.2018.

BaTalU-Aussichtspunkt auf Düsseldorf
Mit vollem Namen heißt er Bach-Tal-Ultra und bietet dank des Akronyms dem Teilnehmer die Möglichkeit, sein persönliches BaTalU zu erleben. Zwei verschiedene Runden bilden eine Acht, in deren Zentrum sich Start, Verpflegungspunkt und Ziel befinden.

Wo immer sich Asphalt vermeiden ließ, geht es auf Wanderwegen und Trails durch eine Reihe von Naturschutzgebieten, die meist in Bachtälern liegen - daher der Name. Da die Täler durch Höhenzüge getrennt sind, kommen in der eigentlich flachen Gegend doch etwa 950 Höhenmeter zusammen. In den Tälern ist es feucht. Man wird also Trailschuhe benötigen und muss mit nassen, schlammigen Füßen rechnen.
Im Rotthäuser Bachtal

Die erste Runde ist 26 km lang mit 350 Hm. Die zweite geht über 36 km und 590 Hm. Sollten sich viele Interessenten für die Kurzstrecke finden, könnte auch eine separate Wertung über 26 km erfolgen.

Und hier geht es zur BaTalU-Homepage.

Die vielen Bänke werdet ihr brauchen!


Dienstag, 28. November 2017

Zwei Jahre "Polar M400"

M400 Activity-Tracker-Anzeige
Im November 2015 hatte ich die "Polar M400" als Laufuhr für meinen Sohn gekauft. Für gut 100 Euro bekam man eine Sportuhr mit GPS und Pulsmessung. Zusätzliche Ausstattung wie Activity-Tracker und Smart-Notifications wurden gern mitgenommen, waren aber eigentlich nicht auf dem Einkaufszettel.

Es stellte sich heraus, dass der damals 14-Jährige keine Lust auf das Tragen eines Pulsgurtes hatte. Vermutlich liegt das am väterlichen Vorbild. Ich laufe schon seit Jahren "oben ohne". Ein Kollege kommentierte pulsgesteuertes Training einmal so: "Ich lass' mir doch von einer Maschine nicht vorschreiben, wie schnell ich laufen soll!" (Braucht vielleicht jemand einen original aufgerollten, unbenutzten Polar H7 Brustgurt?)

Bevor die Uhr einen GPS-Empfang vermeldete, war meinem Sohn schon langweilig geworden. Ergo hat er die Uhr immer ohne GPS genutzt. Die Länge seiner Laufstrecken kennt er meist. Oder er trainiert Intervalle im Stadion. Als er anfangs noch brav auf den Satelliten-Empfang gewartet hat, und ich ihn begleitete, fiel die Uhr durch Gepiepse im Wald unangenehm auf. Sobald man bei dichter Wolkendecke unter Bäumen lief, meldete das Gerät den Verlust des GPS-Signals. Möglicherweise haben andere Uhren mit ähnlichen Widrigkeiten zu kämpfen, verschweigen das aber elegant. Denn was soll der Läufer mit der Information unterwegs anfangen - anhalten und auf Empfang warten?

Dann passierte, was im Internet mehrfach von Nutzern bemängelt wurde. Das Display beschlug von innen. Es scheint sich um einen Serienfehler der Uhr zu handeln. Interessanterweise hat meinen Sohn diese Limitation überhaupt nicht gestört, da die Anzeige trotzdem noch ablesbar war.

Vor ein paar Wochen schlug dann der nächste Serienfehler zu. Die Ladebuchse hatte nur noch Wackelkontakt, so dass das Aufladen der Uhr zur Geduldsprobe und zum Glücksspiel wurde. Da das noch innerhalb der Garantiezeit geschah, hat Amazon den Kaufpreis bereits wieder überwiesen.

Auf die Erstattung habe ich im Rahmen der "Black Monday"-Aktion nur gut 40 Euro drauflegen müssen, um ersatzweise das Nachfolgemodell, die Polar M430, zu erwerben. Hier scheint der Hersteller, den Bewertungen nach zu urteilen, zumindest die beiden Serienfehler behoben zu haben. Außerdem soll die Akkulaufzeit verbessert worden zu sein.

Mal sehen, ob die Neue länger als zwei Jahre durchhält.

Montag, 20. November 2017

Neanderlandsteig-Begegnungslauf

Im Schwarzbachtal, wo ich auf den Neanderlandsteig treffe, geht es sofort los mit den Begegnungen. Keine zehn Meter von mir entfernt pickt ein Fasan auf einem abgeernteten Feld herum, ohne Notiz von mir zu nehmen. So nahe bin ich derlei Federvieh bisher nur gekommen, wenn es in einer Voliere saß.

Ich folge dem Steig in nordöstlicher Richtung. Er führt mich einmal rund um Ratingens Grünen See. Trotz des kalten Windes sind dort ein paar Menschen unterwegs. Eine Joggerin ruft mir von weitem zu: "Sind Sie das Pulsmesser?" Als ich bejahe, folgt die Erklärung: "Ich bin die Freundin von Läufer H. Ich dachte mir, so ein langer Dünner, der viel läuft - das muss das Pulsmesser sein!"

Der berühmte Athlet, der von seinen Fans auf der Straße erkannt wird, zieht mit stolzgeschwellter, aber immer noch magerer Brust weiter seine Bahn. Und die nächste Begegnung lässt nicht lange auf sich warten. Mein ornitologisches Unwissen lässt leider keine präzise Schilderung zu. Jedenfalls sitzt ein großer, hellgefiederter Raubvogel etwa in meiner Kopfhöhe auf einem toten Ast direkt neben dem Weg. Im Gegensatz zum Fasan interessiert er sich durchaus für mich und dreht majestätisch sein Haupt in meine Richtung. Offenbar stuft er mich, trotz meines roten Läufergewandes, als harmlos ein und bleibt ungerührt auf seinem Geäst hocken.

Neanderlandsteig-Idylle

In den tiefen Wäldern des Düsseldorfer hohen Nordens schlängelt sich der gut markierte Wanderweg durchs Gehölz. Aus einer Kurve kommt mir ein großer Hund entgegengerannt. Nach einem kurzen Anstieg des Adrenalinspiegels gibt die Amygdala wieder Entwarnung. Es ist kein Hund, sondern ein Reh! Das Tier braucht eine Weile, bevor es auch ein wenig Adrenalin ausschüttet. Es scheinen nur ein paar Tropfen zu sein. Die reichen gerade, um das Wild ein paar Schritte vom Weg herunter machen zu lassen. Es stellt sich gelassen hinter die erste Reihe Zweige. Diese "Tarnung" erinnert ein wenig an ein Kind, das sich die Augen zuhält, um sich unsichtbar zu machen. Aus seinem Versteck beäugt mich Bambi neugierig, während ich in vielleicht vier Metern Abstand passiere.

Nach weiteren 100 Metern wird mir klar, warum das Biest so abgehärtet ist. Ein Flugzeug schießt dröhnend durch die Baumwipfel. Der Neanderlandsteig führt mich nun ungemein idyllisch an der Landebahn des Düsseldorfer Flughafens entlang.

Am Hinkesforst habe ich nach inzwischen 22 km schon so viel waidmännische Erfahrung gesammelt, dass es mich nicht mehr verwundert, als mich das nächste Reh in nur zwei Metern Abstand vorbeilaufen lässt. Keine Ahnung, was heute mit den Tieren des Waldes los ist! Oder liegt es gar an mir? Das Pulsmesser, der bekannte Trailrunner, mit allen Geschöpfen der Natur auf du und du!?

Dieses zutrauliche Wesen wagt sich sogar vor meine Linse

Jederzeit erwarte ich nun das nächste Stelldichein mit irgendeiner zutraulichen Kreatur. Doch der Weg von Selbeck nach Breitscheid verläuft vermutlich zu urban. Erst als ich den Neanderlandsteig verlasse, den Oberbusch durchquere und hinter dem Stinkesberg in einen kleinen Pfad einbiege, raschelt es im Gebüsch. Ein seltsam gewandeter, einäugiger Gnom mit spitzen Ohren macht sich dort zu schaffen! Mich wundert heute nichts mehr. Ein paar Schritte weiter halluziniere ich scheinbar im Runner's-High einen Zeitsprung. Denn mitten im Wald sehe ich auf einer Lichtung eine wild gestikulierende Menge. Jeder einzelne ist mit einem altertümlichen Wams angetan. Manche haben sich mit Äxten, Schilden und Schwertern bewaffnet. Muss ich um mein Leben bangen? Eine Frau, scheinbar eine Fee mit besonderem Spürsinn, wird meiner gewahr und benachrichtigt die anderen. Sofort formiert sich die Truppe in Dreierreihe. Der Zwerg bittet mich fröhlich lächelnd um ein Gruppenfoto.

LARPer
Die - offenbar gute - Fee erklärt mir, dass sie LARPer sind und sich zu einem "Live Action Rollenspiel" zusammengefunden haben. Nun ja, ich finde prinzipiell jeden gut, der raus geht und sich in der Natur bewegt.
Fee: "Wir ziehen schon seit vier Stunden durch den Wald."
Pulsmesser: "Ich auch."

Nach 45,5 Kilometern sind sowohl mein Lauf- als auch mein Begegnungs-Bedürfnis für heute gestillt.


Montag, 13. November 2017

Platinman 2017

Der Veranstalter des Platinman hat offenbar auf meine Verwirrung bei der letztmaligen Teilnahme reagiert. Damals überraschte mich das abrupte Ende des Laufs und brachte mich um den Endspurt. In diesem Jahr dürfen wir bis zum Start zurück laufen. Damit wurde die Strecke auf offizielle 28,35 km verlängert und um ein paar Anstiege bereichert, so dass sich die Höhenmeter zu 863 summieren.

Die Pulsmesser rücken als Duo aus, um Platinmänner zu werden. Mit der ebenfalls angebotenen Light-Version will sich der Junior diesmal nicht mehr zufriedengeben und mogelt sich etwas älter, um teilnehmen zu dürfen. Dem besorgten Vater scheint die Strecke etwas lang für den Nachwuchs, insbesondere angesichts der Höhenmeter. Außerdem hat der Regen den ganzen Wald so aufgeweicht, dass man durchaus von einem echten Traillauf sprechen kann. Also ergeht an den Sohn der Erlass, er möge sich so weit zügeln, dass er in Würde und sturzfrei ins Ziel kommt. Das Hauptaugenmerk soll darauf liegen, Erfahrungen mit der langen Strecke, den Höhenmetern und dem anspruchsvollen Untergrund zu sammeln.
Riesige Holzscheibe für den Sieger
Für mich selber habe ich ebenfalls eine Vorgabe. Nach dem hurtigen 50er der Vorwoche will ich mich mit einer Zielzeit unter drei Stunden begnügen. Inzwischen kenne ich mich ja insoweit, dass mir derlei auferlegte Beschränkungen helfen, mich zumindest anfangs einzubremsen, bevor der Wettkampf mich in den Blutrausch versetzt.

Also stelle ich mich am Start einigermaßen defensiv auf. Immerhin kann ich die ersten steilen Single-Trails noch flüssig absolvieren. Mein Sohn, der sich brav hinten einsortiert hat, wird später vom Schlangestehen vor diesen Hindernissen berichten.

Auf dem letzten Asphalt-Segment kommt uns ein Mountain-Biker entgegen, klatscht uns ab und meint, sollte noch eine Socke sauber sein, so würde sich das jetzt ändern. Es geht auf zerfurchtem Waldweg schön matschig bergab. Der erste krasse Schlammlauf der Saison beginnt. Irgendwann ergibt es keinen Sinn mehr, eine möglichst trockene Spur zu suchen. Einfach durch, heißt die Devise.

Der seilversicherte 52%-Anstieg liegt in diesem Jahr etwa bei km 13. Und natürlich lauert auch hier wieder der Fotograf auf der Suche nach dem spektakulären Motiv. Aber ich kann noch lächeln. Einen Kilometer später, also zur Halbzeit, zeigt die Uhr 1:14. Die Idee von einem Finish unter 2:30 beginnt sich in meinem Hirn einzunisten.

Mit Kappe, langer Hose, dünnem Langarm-Shirt über einem Kurzarm-Shirt und wasserdichten Sealskinz-Handschuhen fühlte ich mich anfangs zu warm bekleidet. Mittlerweile regnet es so große, kalte Tropfen, dass ich mir nicht ganz sicher bin, ob das schon Hagel ist. Nun scheint die Klamottenwahl goldrichtig. Meine bangen Gedanken richten sich auf den Nachwuchs, der nur in kurzer Hose und Langarm-Hemd gestartet ist. Ich sehe ihn vor meinem geistigen Auge vom Hammermann geschlagen, entkräftet an einem Hang herumbibbern. Erst gestern waren wir leichtbekleidet in stundenlangem Regen und Wind bei einer Trainingseinheit völlig ausgekühlt. Zu Hause konnten wir mit unseren schmerzenden Händen kaum die warme Dusche aufdrehen und hatten den Rest des Tages, in warme Decken gehüllt, heißen Tee getrunken, um endlich wieder aufzutauen.

Mir selbst heize ich durch beschleunigte Fortbewegung ein. Während ich den ganzen Schlamm genieße und unablässig überhole, schlägt mir immer wieder irgendwas gegen das Bein. Trotz Doppelknotens löst sich ein Schnürsenkel! Irgendwann lässt sich ein Stopp nicht mehr vermeiden. Blöderweise müssen auch die Handschuhe ausgezogen werden. Wer schon mal versucht hat, sich die feuchten Dinger wieder überzustreifen, weiß was das für eine Fummelei ist.

Das Streckenprofil habe ich gut studiert. Also weiß ich, dass bei km 24 der letzte Anstieg lauert. Dort treffe ich auf einen Mitstreiter, den bei seinem ersten Wettkampf nach einem Triple-Iron-Man (sic!) gerade die Kräfte verlassen. Es stellt sich heraus, dass es derselbe Mann ist, dem ich ein "Das kann doch jetzt nicht wahr sein!" entgegenschmetterte, als er mich beim Biggesee-Marathon auf den letzten Metern zu überholen trachtete.

Sieger mit Medaille
Mit einem Bergab-Sprint ins Ziel sichere ich mir das Erreichen der unterwegs geänderten Vorgabe. 2:28:51 zeigt die Uhr, was einer Pace von 5:15 entspricht. Das stimmt mich so lange froh, bis ich feststelle, dass ich vor zwei Jahren auf der kürzeren Strecke mit 5:03 min/km unterwegs war - und das zwei Wochen nach einem 100-km-Lauf! Dafür ist die Platzierung (AK: 5, Gesamt: 19) diesmal besser. Vielleicht muss man auch die Streckenverhältnisse würdigen, die heute deutlich schwieriger waren? Besonders in Erinnerung bleibt die tiefverschlammte Abwärts-Passage, auf der frisch geschnitte Stämmchen quer lagen, so dass sie nur im Kniehebelauf zu bewältigen war.

Wie mag es da nur dem Junior ergangen sein? Der erscheint erstaunlich sauber und trocken sowie freudestrahlend im Ziel. Selbst die Treppe hinauf zur Kleiderbeutelabholung nimmt er, ohne sich etwas anmerken zu lassen.

Bleibt eigentlich nur die Frage offen, warum es ausgerechnet beim Platinman Medaillen aus Holz gibt?

Dienstag, 7. November 2017

Bottroper Herbstwaldlauf

Bisher hatte ich immer einen Start beim Röntgenlauf dem Herbstwaldlauf in Bottrop vorgezogen. Die flache 50-km-Strecke im Ruhrgebiet über zwei identische Runden schien mir weniger attraktiv als der hügelige 63,3-km-Kurs durchs Bergische Land. Dieses Jahr zwang mich der Terminkalender nach Bottrop. Ich wurde angenehm überrascht!

Start-/Zielbogen auf der Zeche Prosper Haniel
Als Spross einer Bergbau-Region, hat mich das Start/Zielgelände auf der aktiven Zeche Prosper Haniel ziemlich begeistert. Die Schwarz- und die Weißkaue dienen uns als Umkleiden. Zu Hause betreibe ich ein ähnliches System. Wenn ich verdreckt vom Laufen zurückkehre, betrete ich das Haus durch den Kellereingang. Dort unten in meiner persönlichen Schwarzkaue entledige mich meiner stinkenden Laufsachen. Nackt nehme ich dann die Treppe hinauf zur Dusche. Dazwischen gilt es allerdings noch, den Flur zu durchqueren.  Das kann zu peinlichen Situationen führen, beispielsweise wenn meine Tochter Besuch von ihren pubertären Freundinnen hat. Ich verbrachte schon manche bange Minute bibbernd hinter der Kellertür, um zu lauschen, ob die Luft rein ist.

Hochgezogene Wechselbekleidung in der Kaue
In der Zeche sind wir Läufer aber unter uns. Wir können unsere Weiß-Klamotten in den Ständer, der bestimmt auch einen bergmännischen Namen trägt, hängen und dann an Ketten unter die Decke ziehen. Allein für dieses Erlebnis lohnt sich die Teilnahme am Lauf! Allerdings scheint 2018 die letzte Chance für Bergbau-Feeling zu sein, weil danach die Zeche geschlossen wird.

In der Kaue
Auf befestigten Waldwegen unterschiedlicher Breite rennen wir durch den bunten Namensgeber des Laufes. Anfänglicher Nieselregen weicht unterwegs vereinzelten Sonnenstrahlen. Die nächtliche Streckenbewässerung hat für ausreichend Schlamm gesorgt, so dass man fast so stark verschmutzt, als sei man bei einem krassen Traillauf.

Ich finde mich bald in einem Trio wieder. Begleitet werde ich von einem Läufer, der in der Vorwoche noch den Frankfurt-Marathon unter drei Stunden finishte und von einem Sportler, der bisher noch nie weiter als 35 km gelaufen ist. Wir sind mit einer Pace von 4:48 min/km unterwegs, was unser Bestreben, unter 4 Stunden fertig zu werden, dokumentiert.

Die Runde hat nicht nur farbiges Laub zu bieten, sondern buhlt mit zwei malerischen Seen erfolgreich um unsere Gunst. Außer schöner Landschaft ist vor und hinter uns bald nichts mehr zu sehen.

Das ändert sich gegen Rundenende, als wir ins 10-km-Startfeld hineinlaufen, das seitwärts in unseren Kurs geführt wird. Jetzt wird es eng. So schön es ist, als Ultra die Kurzstreckler überholen zu können, so schwierig gestaltet es sich, denn das 50-km-Spitzenfeld kommt uns auf diesem Pendelsegment auch noch entgegen. Auf Zuruf weichen die zu Überholenden nach rechts aus. Nur eine Musikhörerin muss nach der dritten vergeblichen Ansprache sanft mit der Hand beiseite geleitet werden. Das Kopfhörerverbot der DLV hat wohl doch einen Grund.

Punktgenau passieren wir nach knapp zwei Stunden die Wende im Zielbereich. Nun gilt es, meinem Gelaber vom negativen Split Taten folgen zu lassen. Ich beschleunige und finde mich bei einem Tempo von etwa 4:37 min/km wieder. Mir scheint, das könne ich bis ins Ziel halten. Überraschenderweise hält der Ultra-Novize mit, während sich der schnelle Marathoni zurückfallen lässt.

Eine vorstartliche Unvernunft macht mir nun mehr und mehr zu schaffen. Als Nachmelder war ich ziemlich zeitig angereist, was mir zwar einen Parkplatz direkt vorm Gebäude einbrachte, aber auch dazu führte, dass ich noch eine Stunde totzuschlagen hatte. Obwohl mir die Gesellschaft von Vereinskameraden meines Sohnes die Warterei verkürzte, glaubte ich, zum Zeitvertreib noch einen Kaffee und ein Wasser trinken zu müssen. Harndrang seit Kilometer Fünf ist die Folge! Doch wenn ich die erste Runde durchgehalten habe, bleibe ich auf der zweiten nun auch nicht mehr stehen! Immer wieder visualisiere ich meinen Sprint von der Ziellinie direkt zum Dixie.

Finisher-Metall
Davon abgesehen fühle ich mich gut und bin mit meinem spontanen Start-Entschluss vom Vorabend sehr zufrieden. Das Befinden meiner Begleiter kann ich nicht beurteilen, sie haben mich inzwischen beide verlassen. Stattdessen tauchen nun wie an einer Perlenschnur vor mir Läufer auf. So lange es jeweils auch dauert, sie kommen näher und werden letztlich überholt. Übermütig plane ich schon einen Endspurt auf den letzten fünf Kilometern.

Und tatsächlich scheint sich ein Überholter zu wehren. Schritte bleiben hinter mir hörbar. Ja, sie werden sogar lauter. Schließlich taucht ihr Verursacher neben mir auf. Überraschenderweise ist es der schnelle Marathoni! Gemeinsam verwirklichen wir meine Endspurtidee und überholen noch drei oder vier Läufer. Aus dem kollegialen Schluss-Sprint wird zuletzt noch ein richtiges Duell, das mich zu ungeahnter Leistung anstachelt. Nach 49 Kilometern laufe ich die letzten 1000 m in 3:54 min! Hochzufreden mit diesem rundherum gelungenen Lauf stoppe ich die Uhr nach 3:54:40.

Statt schnurstracks zum Dixie zu eilen, muss ich vornübergebeut würgen. Mein Körper will irgendetwas hervorbringen. Bin ich an die Kotzgrenze gegangen? Erstaunt nehme ich zur Kenntnis, dass mir lediglich ein extrem lautes Niesen entfährt.

Die Toilette besuche ich dann übrigens erst in der Umkleide. Alles Kopfsache!

Mittwoch, 4. Oktober 2017

Sprocky Ultra Ghost 2.0

Wir begehen bzw. belaufen den Tag der Deutschen Einheit, und nicht Halloween. Trotzdem sind wir als Geisterjäger in den Wäldern der Elfringhausener Schweiz bei Sprockhövel unterwegs. Denn der private Einladungslauf über 29 km bzw. 55 km (1700 Hm)  nennt sich "Sprocky Ultra Ghost 2.0".

Schon am Vortag war ich in der Gegend, um meiner Frau im Rahmen einer Wanderung mal zu zeigen, wo ich mich läuferisch so rumtreibe. Bei der Gelegenheit entstanden die Bilder von der Strecke, die sich als nicht repräsentativ erweisen. Es stellt sich schnell heraus, dass ich mit meiner Frau auf den harmlosen Passagen unterwegs war. (Zum Glück, denn schon da hieß es: "Was, diese rutschigen, schmalen Wege lauft ihr runter?!")


Der Gastgeber hat die besten Single-Trails seiner Heimatregion miteinander verbunden. Und wir dürfen dieses Feuerwerk der Eindrücke jetzt nach und nach zünden. Gelaufen wird nach GPX-Track. Anfangs verpasse ich so manchen Abzweig, weil ich in Ermangelung einer wahrnehmbaren Kreuzung keine Notwendigkeit sah, auf die Karte zu schauen. Der Trail-Master schickt uns scheinbar weglos ins Unterholz. Erst auf den zweiten Blick offenbart sich eine leichte Trittspur.

Der Starkregen der letzten Nacht hat für eine gute Bewässerung der Pfade gesorgt. Ich glaube, es ist mein erster richtiger Matschlauf in diesem Jahr. Als ich zur Halbzeit wieder am Start/Ziel/VP auftauche, wird mir bescheinigt, dass ich bis hoch zum Nacken mit Schlamm bespritzt bin.


Für das finale Segment steigt Andreas mit ein, der keinen GPS-Receiver besitzt und sich meiner Führung anvertraut. Er unterhält mich bestens mit Klatsch aus der Ultra-Szene. Ich höre offenstehenden Mundes von einem Nichtläufer, der so plötzlich zum Ultra mutierte, dass er binnen Jahresfrist 20 Ultras lief und insgesamt 100 Marathons finishte. Das muss man erstmal auf die vorhandenen Wochenenden verteilen! An die "Stoß"-Belastung des Körpers möchte ich gar nicht erst denken.

Hatte ich morgens noch leicht schweres Gebein zu verzeichnen, läuft es gegen Ende immer fluffiger. Kaum haben wir uns versehen, sind 6:40:00 Stunden vergangen. Und wir dürfen uns schmutzig und verschwitzt in die gute Stube der Gastgeber setzen, wo der Lauf beim Kaffeetrinken mit der Übergabe der Trophäen einen würdigen Abschluss findet. Als einziger Finisher der Volldistanz darf ich mich sogar Gesamtsieger nennen!


Dienstag, 3. Oktober 2017

Neanderlandsteig-Etappenlauf

Der Deutschlandlauf hat mich angefixt. Schon länger hatte ich die vage Idee, den Neanderlandsteig (240 km) in drei Etappen an einem langen Wochenende abzulaufen. Nach meinem Schnupperkurs bei den Etappenläufern lasse ich die Planung konkreter werden.


Ursprünglich sollten es drei Etappen à 80 km sein. Ich hatte es mir in meiner Macho-Lauf-Phantasie so vorgestellt, dass mich Frau Pulsmesser abends von der Strecke sammeln und am nächsten Morgen an gleicher Stelle wieder aussetzen würde. "Du spinnst wohl!", war die Reaktion darauf, dass ich mich nicht nur drei Tage ausklinken wollte, sondern zusätzlich auch noch Fahrbereitschaft verlangte.

Also muss der öffentliche Nahverkehr in die planerischen Aktivitäten einbezogen werden, wodurch 13 weitere Kilometer als Zusatzwege zu den Haltestellen zu Buche schlagen. Angesichts des Brückentages am 2. Oktober wird die Planung auf vier Etappen ausgelegt. Es ergeben sich Abschnitte von 49,7 km, 61,3 km, 72,4 km und 69,4 km. Die exakte Planung erstreckt sich unter Berücksichtigung von Sonnenauf- und untergang bis hin zu den S-Bahn-Abfahrtszeiten.

Und dann werde ich weich!

Die Liste der Ausreden ist lang:
  • Der Wupperbergemarathon der Vorwoche steckt mir noch in den Knochen.
  • Für Samstag ist starker Dauerregen angesagt.
  • Frau Pulsmesser will den kinderlosen Brückentag mit mir allein verbringen.
  • Und am 3. Oktober bin ich zu einem privaten Ultra eingeladen.
Auf der samstäglichen 32-km-Hausrunde über heimische Neanderlandsteig-Segmente weiche ich dermaßen durch, dass ich letztlich mit meiner "Flexibilität" ganz zufrieden bin. Die Zufriedenheit steigt am Sonntag auf Höchstwerte.


Die Sonne scheint auf den Steig und dort auf mein Haupt. Denn ich laufe die knapp 50 km von Velbert-Nierenhof nach Haan-Gruiten. Gut 1200 Höhenmeter erwarten mich. Statt sich gleichmäßig über den Kurs zu verteilen, tummeln sie sich alle giftig in der ersten Hälfte. Aber ich habe ja Zeit und gönne mir hie und da den einen oder anderen Gehschritt. Der Genuss des freien Tages steht ganz im Vordergrund. Mein Tagesmotto hatte ich beim Umsteigen auf dem Essener Hauptbahnhof entdeckt: "Ausgang Freiheit". Den nehme ich heute!

Auf der Strecke lerne ich Chris kennen, der sich gerade anschickt, seiner erweiterten Homezone neue Trails hinzuzufügen. Er erzählt von seinem Laufladen in Wuppertal und schnellen Finisher-Zeiten. Und schon verlaufen wir uns! Dabei ist die Route perfekt markiert. Man könnte auch ohne GPX-Track laufen.


Nach 22 km speit mich der Wald direkt an der S-Bahn-Haltestelle "Velbert-Neviges" aus. Die Tour ließe sich also auch verkürzen. Ich will aber weiter und lasse den hässlichen Nevigeser Dom, dieses sakrale Monument in Beton, schnell hinter mir.

Viel schöner ist das Schloss Hardenberg, das etwa die Hälfte der Strecke markiert. Gerade will ich dies zum Anlass nehmen, mal eine der nach Lapp'schem Vorbild mitgebrachten Datteln zu naschen, als ein Schild in meinen Blick gerät: "Pflaumenkuchen"! Kaffee und alkoholfreies Weizenbier sind ebenfalls wohlfeil. Die anderen Gäste bekunden ihr Erstaunen, wie schnell ich all dies zu inhalieren vermag. Die sonnenbeschienene Bank lädt tatsächlich zu einer längeren Rast ein, aber mich zieht es zurück auf den Trail.

Erst abgetrunken, dann fotografiert

Unter den vielen Sonntagsausflüglern, die mir begegnen, sind auch zwei Frauen, die ihr Gepäck von Eseln tragen lassen. Für Laufsportler ist diese Variante wohl eher ungeeignet. Allerdings habe ich schon einen Läufer getroffen, der seinen Hunden Packtaschen aufgeschnallt hatte. Ich werde wohl mein Päckchen weiterhin selbst zu tragen haben.


Nach etwa sechs Stunden ist mein "Ausgang" beendet. Angesichts doch recht schwerer Beine bin ich ganz froh, dass die nächste Etappe nicht gleich am Folgetag ansteht. Ich freue mich dafür auf übermorgen, wenn ein Start beim "Sprocky Ghost 2.0" geplant ist. Der Neandersteig läuft mir ja nicht weg!




Dienstag, 26. September 2017

Wupperbergetrailmarathon - Nach 1600 Hm auch noch das Podest erklommen

"Ruhig, Pulsmesser!", ruft es hinter mir, als ich eine lange Talpassage runterdonnere und gerade einen kleinen Pulk überholt habe. Der Wupperbergetrailmarathon wurde in diesem Jahr einer Streckenänderung unterworfen. Dadurch fand ich mich nach dem Start am Ende des Feldes wieder, da überraschend in Gegenrichtung losgelaufen wurde. Und nun versuche ich, meine Position im Feld zu finden.
Startunterlagenausgabe und Ziel
Den Downhill genieße ich noch zu Ende, dann folge ich der Aufforderung und lasse mich vom mahnenden Rufer einholen. Es ist nämlich Matthias. Mir steckt noch in den Knochen, wie ich bei meinem Debüt vor zwei Jahren auf der mit gut 1600 Höhenmetern gespickten Strecke Federn ließ. Damals war ich mit Matthias im Duo gelaufen und musste ihn bei km 25 entkräftet ziehen lassen!

Heute will ich mir die Körner besser einteilen. Und so laufen wir gemeinsam weiter. Zu unserem Trupp gehört noch Arnd, der uns mit seinen Erfolgsgeschichten einschüchtert. Erfürchtig lauschen wir der Nennung von fabelhaften Bestzeiten. Erst letztes Wochenende habe er nach dem Swim-and-Run, wo im Neoprenanzug gelaufen und mit Laufschuhen geschwommen wird, das Podest bestiegen. Für das nächste Wochenende sei ein weiterer Sieg geplant, weshalb er heute nur mit angezogener Handbremse laufe. Daher können wir wohl auch folgen. Als Matthias und ich jedoch anfangen, am Berg zu gehen, wird es Arnd doch etwas zu langweilig. Er zieht von hinnen.

Stattdessen schließt Oli zu uns auf, was mir die erstaunte Bemerkung entlockt: "Wenn du hinter uns warst, wer ist dann vor uns!?" Denn Oliver zählt als TorTourdeRuhr-Gewinner über 230 km zu den ganz Schnellen. Er saß damals schon umgezogen und geduscht vor einer dampfenden Mahlzeit, als ich viertplatziert ins Ziel des Dragon-Ultra lief. Er berichtet von einer längeren Verletzungspause, weshalb er es heute noch vorsichtig angehen muss. 

Am nächsten VP verlieren wir Matthias. Man kann es ihm nicht verdenken, dass er hier länger verweilt. Denn Oliver Witzke und seine Helfer halten wie immer ein üppiges Büfett bereit, auf dem Ananas, Orangen, Studentenfutter, Salzstangen und andere Köstlichkeiten um die Gunst der Läufer ringen.

Wettkampfbesprechnung am Start im Hof von Schloss Burg
Der nächste gedeckte Tisch erwartet uns bei Kilometer 25. Dort fragt man besorgt, ob denn die Markierung auch ausreichend sei. "Es ist nämlich bisher erst einer hier durchgekommen!" Dieser Satz hat es in sich. Wir liegen demnach auf Platz 2 und 3. Oli signalisiert sogleich, dass er kein Interesse habe, um eine Platzierung zu laufen. Er hält sich stattdessen leicht hinter mir und sorgt so für "Schub".

Ab jetzt sitzen mir Engelchen und Teufelchen links und rechts auf den Schultern. Das Engelchen ruft: "Du hast heute die Chance auf einen Podestplatz!". Teufelchen entgegnet: "So ein Mist! Hätten die bloß nichts gesagt. Jetzt musst du dich hier so quälen."

Scheinbar gewinnt der Teufel langsam die Oberhand. Oli wird mein weinerliches Rumgeschleiche zu luschig. Er geht mit klarer Ansage nach vorn: "Wir laufen jetzt zusammen ins Ziel. Und du bleibst an mir dran!" Er erweist sich in der Folge als sehr einfühlsamer Motivator. Das geht so weit, dass er sich sogar entschuldigt, wenn er eine Markierung erst spät entdeckt.

Allein hätte ich mir diese Anstrengung nicht abverlangen können. Dankbar denke ich: "Diese Kameradschaft gibt es nur auf dem Trail!" Dann fällt mir ein, dass ich etwas Ähnliches 2012 beim Frühjahrslauf der TG81 im Düsseldorfer Volksgarten erlebte, als sich unterwegs ein Läufer, der nur einen Trainingslauf bestritt, als Hase anbot, und mich erstmals unter die 40 Minuten auf 10 km brachte. Na gut, immerhin war es kein Straßenlauf. Und hoch und runter ging es auch ein bisschen - also fast ein Trail.

Streckenimpression (Foto: Ralf Lindemann)

"Quälen kann so schön sein!", entfährt es Oli fröhlich, als wir die finalen Serpentinen zu Schloss Burg hinaufächzen. Also, ich ächze. Und prinzipiell hat mein Begleiter ja recht, aber im Moment kann ich seine Empfindung gerade nicht so ganz nachvollziehen. Stattdessen nutze ich die Gehpause, um mich schon mal für seinen genialen Zug-Service zu bedanken. Da stellt er klar, dass er eigentlich mich als Bremsläufer benutzt hat, um ein seiner Gesundheit angemessenes Tempo zu laufen. Neudeutsch nennt man sowas wohl "Win-Win-Situation".

Apropos, Win: obwohl wir gemeinsam ins Ziel laufen, möchte der Veranstalter eine Reihenfolge festlegen. Die beiden Olis einigen sich darauf, dass ich Zweiter sei. Mir wäre eigentlich ein ehrlich verdienter dritter Platz lieber als ein geschenkter zweiter. Ich müsste allerdings erstmal zu Atem kommen, bevor ich hier mitdiskutieren könnte. Und so nehme ich dankbar eine neue Streckenbestzeit von 4:13:00 zu den Büchern, einen Pokal entgegen und die neuerliche Start-Verpflichtung für 2018 auf mich. Denn der Preis ist ein Freistart beim nächsten Wupperbergetrailmarathon.

Der wirkliche Held des Tages ist ohnehin mein Sohn. Er hat sich der Halbmarathonstrecke mit über 800 Höhenmetern gestellt. Dort war er sogar mit leicht schnellerer Pace als ich unterwegs und lief als Fünfter ins Ziel.

Trophäe


Dienstag, 12. September 2017

Triathlon-Debüt endet mit Gesamtsieg

"Ihr müsst mir versprechen, dass ihr auch wirklich 100 Prozent gebt!" So peitscht der Junior seiner Schwester und mir am Morgen ein. Vielleicht hätte ich besser ihn als "Staffelverantworlichen" bei der Anmeldung zum Ratinger Triathlon registrieren lassen sollen.

Die Kinder hatten mich überredet, mit ihnen eine Triathlon-Staffel zu bilden. Wegen des Alters meiner Tochter kam nur der Familienstaffel-Wettbewerb über 250 m Schwimmen, 10 km Rad und 2,5 km Laufen in Frage. Beide Kinder trainieren ihre jeweilige Sportart (Schwimmen bzw. Laufen) im Verein. Da ich keine derartige Qualifikation vorweisen kann, wurde ich auf's Fahrrad verwiesen. Die klare Ziel-Vorgabe durch die Kinder lautet: wir müssen gewinnen!

Als Triathlon-Novizen irren wir aufgeregt durch das Schwimmbad. Wo muss man einchecken? Wann ist die Wettkampfbesprechung? Wo findet die Staffelübergabe statt? Wieso hat auch der Schwimmer eine Startnummer bekommen? Und was macht man mit den Startnummern-Aufklebern? Einiges bleibt ungeklärt, aber wir schaffen es zu starten.

Planmäßig verlässt das Töchterchen als Erste das Gewässer. Nur wird sie auf dem Weg in die Wechselzone beinahe von einem Verfolger eingeholt. Also sprinte ich zu meinem Rad und reiße es vom Ständer. Ja, ich hatte mein Tourenrad in der Wechselzone auf seinen Ständer stellen müssen, da sowohl Lenker als auch Sattel zu hoch waren, um es unter die vorgesehene Aufhängstange zu bringen.

Einfahrt in die Wechselzone
Als ich das Bad verlasse, glaube ich, endlich losradeln zu können. Aber ich muss für circa 150 m einem blauen Teppich folgen. Das ist gut, denn noch bin ich in meiner eigentlichen Disziplin unterwegs. Wie ein Gestörter renne ich mit dem Rad über den blauen Belag, denn ich will unbedingt als Erster auf der Strecke sein. Dann halte ich erstmal an - und steige auf. Das Aufspringen aus vollem Galopp hätte man vielleicht mal üben sollen. Zu spät.

Schon jetzt rasselt mir der Atem. Der "Wettkampfbesprecher" nannte die Radstrecke schnell. Mir fehlt jeder Vergleich, aber für meinen Geschmack geht es dafür ganz schön bergauf. Immerhin erklimmen wir die Flanke des Langenbergs, der mit 105 m Ratingens höchste Erhebung bildet. Ein weiterer Anstieg führt in den Ortsteil Eggerscheidt, wo mich eine 180-Grad-Kehre zum Bremsen nötigt. Das ginge wahrscheinlich auch irgendwie geschmeidiger. Hatte ich gehofft, dass der bisherige, kräftige Gegenwind nun schieben würde, so werde ich enttäuscht. Es bleibt bei Gegenwind. Das typische Radfahrer-Paradoxon! Immerhin überhole ich ein paar andere Radler, vermutlich die vorher gestarteten Volkstriathleten auf ihrer zweiten Radrunde. Aber auch ich werde überholt! Kleine Jungs auf eindrucksvollen Rennmaschinen und visierbehelmte Männer auf Triathlonrädern ziehen vorbei. Schwer festzustellen, ob Familienstaffel-Konkurrenz dabei ist. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als weiter am Limit zu strampeln. Den Blitzer in der 70-Zone löse ich leider nicht aus. Das gelinge jährlich nur zwei bis drei Startern, wurde uns in der Wettkampfbesprechung verraten. Für Lichtblitze sorge ich selbst. Ich habe vergessen, die Beleuchtung auszuschalten! Sinnlos fließt ein Teil meiner Energie in den Nabendynamo. Noch eine Runde könnte ich definitiv nicht in dem Tempo fahren.

Am blauen Teppich lasse ich mit einem ungelenken Abstieg nochmal deutlich den Familien-Starter erkennen. Auch elegant-einhändiges Rad-am-Sattel-Führen beherrsche ich nicht. Dafür schiebe ich mein Bike so schnell in die Wechselzone, dass ich zwei der Velo-Raser wieder einhole. Trotzdem steht schon ein Rad im Familien-Wechselbereich!

Ein Drittel der Beute
Das muss der Junior jetzt wieder ausgleichen. Ob das gelingt? Wir hatten vorher überlegt, dass die Schwimm-und Laufstrecken zu kurz sind, um meine schlechte Rad-Performance wieder kompensieren zu können. Doch der Junior straft alle Theorien lügen und macht uns mit einem Finish nach 35:52 min zu Staffelgewinnern!

Die Kinder wollen nächstes Jahr an einem "richtigen Triathlon" teilnehmen.


Montag, 24. Juli 2017

"Auf der Leibzucht" - Deutschlandlauf 2017

Immer wieder die Frage von passierenden Rad- oder Autofahrern: "Was issen das für'n Marathon?" "Das ist der Deutschlandlauf von Sylt auf die Zugspitze über 19 Etappen und 1300 km." Und jedesmal muss ich kleinlaut anfügen: "Ich laufe nur die heutige, achte Etappe über 83 km von Werne nach Solingen mit."

Startnummer

Am Vorabend hatte ich das Leben "in vollen Zügen" genossen, denn ich war mit der Bahn zum Ziel der siebten und längsten Etappe (90 km) nach Werne an der Lippe gereist. Der Weg vom Bahnhof zur Turnhalle ist gut markiert, denn zufällig führt auch die Laufstrecke durch die Bahnhofsunterführung.

Am Ziel bin ich erstaunt über die Größe des Trosses, der die Läufer begleitet. Zwei Miet-Lkw und zahlreiche Campingfahrzeuge bilden vor der Turnhalle eine Wagenburg. Einer der Helfer betreibt aus seinem Campinganhänger heraus einen kleinen Kiosk, an dem die Läufer Snacks und gekühltes Bier erwerben können.

Wagenburg

Ich habe "mit Halbpension" gebucht. Mein Turnhallenschlafplatz beinhaltet Abendessen und Frühstück. Leider ist meine Pflichtausrüstung unvollständig. Ich habe kein Geschirr dabei. Aber für ein Stück Pizza auf die Hand reicht es, als der italienische Lieferdienst einen Kleinwagen voller Familienpizzen, Pasta und Salaten bringt. Er muss zweimal fahren!

Für die Veganer gibt es einen Spezialservice. Eine Triathletin begleitet die Läufer auf der Tour mit dem Fahrrad. Morgens zieht sie einen Hänger, aus dem heraus sie den ersten VP betreibt. Dann fährt sie weiter ins Ziel und kocht das vegane Dinner.

"Kiosk"-Angebot - auf das Wesentliche beschränkt

Gestartet sind auf Sylt 61 Sololäufer, ein 75-jähriger Tretrollerfahrer und zwei 2er-Teams, deren Starter jeweils einen Tag ruhen können, wenn der Partner läuft. Dazu kommen noch Leute wie ich – Sensationstouristen als Tagesbesucher.

Ich erlebe mit, wie am Abend zwei Solo-Läufer das Rennen abbrechen müssen, womit sich die Zahl der Solisten auf 52 verringert. Feuerrote, heiße Flecken auf den Beinen signalisieren akute Sehnenentzündung. Man sieht straff in Frischhaltefolie gewickelte Waden, geschwollene Gelenke, Eisbeutel auf Schienbeinen und Füße voller Blasen. Unter der Dusche komme ich nicht umhin zu bemerken, dass bei Manchem auch die empfindlichsten Teile wundgescheuert sind. Den Abbrechern werden ihre restlichen Blasenpflaster und Kanülen zum Aufstechen von Blasen regelrecht aus den Händen gerissen. Ein Läufer hat eitrige, offene Fußsohlen. Trotzdem wird er die nächste Etappe antreten.

Mir wird klar, diese Ausnahmesportler sind mental so stark und körperlich so gut trainiert, dass nur mangelnde orthopädische Robustheit ein Ankommen auf der Zugspitze verhindern kann.

Kühlen der Fußgelenke

Wie auf einem U-Boot, einer Forschungsstation in der Arktis oder eben bei "Big Brother" ergeben sich innerhalb der Läufer-Zwangsgemeinschaft auch Spannungen. Heutiger Streitpunkt: die ausgegebenen Eiswürfel zum Behandeln von Entzündungen wurden zum Kühlen von Getränken zweckentfremdet. Aber der eigentliche Dauerbrenner scheint die Aufteilung der Starter auf zwei Gruppen zu sein. Das werde ich noch selbst zu spüren bekommen! Die langsameren Starter sollen eine Stunde vor den anderen loslaufen. Scheinbar mischen sich auch etwas Flinkere in diese erste Gruppe, so dass sie vor dem eigentlichen Tagessieger im Ziel sind.

Während um 21 Uhr die offizielle Nachtruhe beginnt, kommen jetzt die Letzten, nach 16 Stunden Laufzeit, im Etappenziel an. Sie müssen noch essen, duschen und ihre Wunden versorgen, bevor auch sie sich endlich hinlegen können.

In den Schlaf wird heute jedoch kaum jemand finden. Das Licht in der Turnhalle lässt sich nicht abschalten. Trotz herausgedrehter Hauptsicherung sorgt ein zweiter Stromkreis für "Notbeleuchtung", die jedoch reichlich überdimensioniert scheint. Ohrstöpsel habe ich dabei, aber die Schlafmaske nicht. Notgedrungen ziehe ich mir die Schlafsackhülle über den Kopf. Besonders gut atmet es sich darunter in der aufgeheizten Halle nicht. Insbesondere, da die Halsschmerzen, die mich seit ein paar Tagen plagen, jetzt in einen rauhen Husten übergehen.

Nun ja, lange dauert das Martyrium ohnehin nicht, denn um 3:40 Uhr wird geweckt, damit um vier Uhr gefrühstückt werden kann. Die Helfer dürften schon deutlich eher aufgestanden sein, um die riesige Kaffeemaschine auf Temperatur zu bringen. In Ermangelung eines Tellers esse ich statt Müsli Käsebrote und Obst und sauge dabei die Stimmung auf. Die meisten scherzen ausgelassen und malen sich aus, wie sie sich auf der Zugspitze betrinken werden. ("Viel Alkohol wird dazu nicht nötig sein!") Ein anderer will heute unterwegs unbedingt irgendwo vier Kugeln Eis mit Sahne essen. Der Franzose neben mir schwärmt davon, wie schön es sei durch den Regen zu laufen. Er wird heute tanzend an den VP's gesehen werden. Ganz selbstverständlich wird davon ausgegangen, dass ich eine 100-km-Bestzeit habe. Enttäuschung kommt erst auf, als ich sie nenne. Und was antwortet man diesen Langstreckenspezialisten auf die Frage: "Läufst du viele Ultras?"

Füße hochlegen im Etappenziel

Um 5 Uhr wird die große, erste Gruppe gestartet. Zehn Solo-Läufer, ein Team-Läufer und ich starten eine Stunde später. Inzwischen hat es so stark angefangen zu regnen, dass ich meine Regenjacke aus meinem eigentlich bereits abgegebenen Gepäck heraushole. Der Starter hat keine Lust nass zu werden, so dass wir direkt aus der Halle heraus loslaufen.

Der Wind ist genauso heftig wie der Regen. Ich spüre, wie sich mein Infekt in eine ausgewachsene Erkältung verwandelt. Permanent trieft mir der Schnodder von der Nase. Ich hoffe, dass ich wenigstens an den VP's mit einermaßen rotzfreiem Gesicht erscheine. Doch was jammere ich über meinen Zustand! Mein Befinden ist so unbedeutend angesichts der Leiden, die die anderen klaglos, meist sogar fröhlich, durchstehen. Hier kann man eine Lektion in Sachen mentaler Härte lernen!

Die biologisch abbaubare Sprühkreide hat im Regen, besonders auf saugfähigem Untergrund, schon recht erfolgreich mit dem Auflösungsprozess begonnen. Nach 35 Minuten hört der Guss ganz plötzlich auf. Ab jetzt sind die aufgesprühten Markierungen viel besser zu sehen. Ich frage mich, wer die Pfeile so gewissenhaft anbringt. Und wann? Dieses Rätsel wird sich heute noch lösen.

Aller 10 Kilometer gibt es Versorgung. Teilweise werden diese VP's von den mitreisenden Helfern betreut. Örtliche Vereine betreiben die zusätzlichen. Was für eine Leistung, all das punktgenau zu koordinieren! Es ist eine Herausforderung, sich so einem Lauf zu stellen. In meinen Augen ist es eine mindestens ebenso große Leistung, eine derartige Veranstaltung zu organisieren.

Mir war klar, dass sich eine Route dieser Länge am einfachsten entlang von Landstraßen planen lässt. Insofern bin ich überrascht, dass wir ein ganzes Stück einem Kanal folgen, und dort einen See und eine Marina passieren. Der Hafenkiosk hat am sehr frühen Sonntagmorgen sogar schon geöffnet, was einige der Läufer nutzen, um sich einen Coffee-to-Run mitzunehmen. Ab jetzt treffe ich immer wieder auf einzelne Frühstarter. Darunter ist auch ein fröhlicher Franzose, der in Crogs läuft!

Alle fünf Kilometer sind markiert, sogar die Halbmarathonmarke. Dann die Aufschrift: "Noch 50 km". Während ich noch grübele, ob diese Information nun motivierend ist, passiere ich ein Straßenschild: "Auf der Leibzucht". Wie passend! Hier werden Leiber gezüchtigt. Mögen sie dem Willen ihrer Inhaber gehorchen und sie alle zur Zugspitze bringen!

Auf der Leibzucht

Der Weg von Nord nach Süd durch Dortmund zieht sich, besonders da die Stadt direkt in den Ort Witten überzugehen scheint. Immerhin, es fließt kaum Verkehr, und jede Menge Bäcker bieten zusätzliche Labemöglichkeiten. Nach dem üppigen "Watt läuft"-VP mit sensationeller Stimmung geht es stetig hinauf ins Bergische Land, und das Auge wird mit Grün verwöhnt. Je näher wir der Heimatregion des Veranstalters Oliver Witzke kommen (Solingen, das heutige Etappenziel, ist sein Heimatort), desto schmaler werden die Pfade. Man spürt, dass er sich hier auskennt. Die Markierung "Zur Zugspitze" (der Kreidesprüher hat offenbar Humor) führt jetzt auf einen Radweg, der auf einer ehemaligen Kohlebahntrasse verläuft. Diese geht bald in die Bahntrasse auf bekannter WHEW-Streckenführung über. Folgerichtig wird der dortige VP von Guido Gallenkamp, dem WHEW-Organisator, betreut.

Dort, bei km 60, erfahre ich, dass bisher nur der Tretrollerfahrer gesehen wurde. Sollte ich etwa gleich an zwei Wochenenden in Folge als Erster durch ein Ziel laufen? Doch jetzt erwarten mich die Anstiege des Bergischen Landes. 1266 Höhenmeter weist die Strecke laut Track auf. An der 65-Km-Marke lege ich hangaufwärts die erste Gehpause ein. Da kommt von hinten Henry und zieht grußlos vorbei. "Das kann doch nicht sein, dass ich nicht so schnell laufen kann wie jemand, der schon seit Sylt unterwegs ist!" Der Gedanke reicht mir offenbar, um meine mentalen Kräfte wieder zu bündeln. Ich hänge mich hinten dran und versuche etwas Smalltalk, was nicht so gut gelingt. Stattdessen wird mir vorgeworfen, dass ich als schneller Läufer mit den 5-Uhr-Startern losgelaufen sei. Ich nehme das nicht übel angesichts der Strapazen, denen sich diese außergewöhnlichen Menschen unterziehen. Wer weiß schon, welche Gedanken sie in den vielen einsamen Stunden vorantreiben oder bremsen. Aber die Chemie scheint nicht für viele gemeinsame Kilometer zu passen. Am VP bei km 67 setze ich mich nach vorn ab.

Was ich nicht weiß und erst später ergoogle: der in Norwegen lebende Sachse Henry Wehder ist schon seit 12.6. als Etappenläufer unterwegs. Er ist am Nordkap gestartet und integriert den Deutschlandlauf in seinen privaten Transeuropalauf bis nach Gibraltar. Anschließend will er noch den Spartathlon in Griechenland anhängen und somit insgesamt 10.200 km in 111 Tagen laufen.

So langsam beginne ich, die herbeigesehnte 80-km-Marke zu vermissen. Da spricht mich eine Radfahrerin an. Sie habe nicht damit gerechnet, dass jetzt schon ein Läufer kommt, und sei mit dem Markieren der Strecke noch nicht fertig. Kein Problem, ich habe ja den GPS-Track auf meiner Uhr!

Wenig später kommt mir Oli entgegen geradelt. Er teilt mir mit, dass er den Läufern heute den besonders schwierigen Aufstieg auf dem Serpentinen-Trail zum Schloß Burg (die Wupperbergemarathon-Finisher unter den Lesern schmunzeln hier wissend) ersparen und die Strecke um einen Kilometer verkürzen will. Ich finde seine Wegbeschreibung in der Realität nicht wieder und folge dem Originaltrack ins Ziel, das ich nach 8:39:29 durchlaufe. Dort sitzt zu meiner Enttäuschung schon Klemens, der Zweier-Team-Läufer, der die Abkürzung offenbar besser gefunden hat. Kurz danach erreicht auch Henry als führender Solo-Läufer die Jugendherberge.

Zwei Solo-Etappenläufer beenden Etappe 7

Es verdient den höchsten Respekt, sich dieser Strecke überhaupt zu stellen und einige Etappen zu meistern. Wie viele die Zugspitze erreichen werden, ist schwer zu prognostizieren. Die heutige Etappe hat die Zahl der Solo-Läufer auf 46 dezimiert. Aber, dass es Menschen gibt, die bei einem Etappenlauf so schnell sein können und diesen sogar noch um ein Vielfaches verlängern, liegt noch immer außerhalb meiner Vorstellungskraft, obwohl ich selbst (ein bisschen) dabei war.


Sonntag, 16. Juli 2017

Mit dem Fahrrad zum 1. Dickelsbachmarathon


Waren die lokalen Laufjunkies vor einer Woche in ein tiefes, mentales Loch gefallen und hatten Hilfeschreie bei Facebook versandt, weil keine Wettkämpfe stattfanden, so muss man an diesem Wochenende fast schon von einem Überangebot sprechen. Ich erhielt Einladungen zu zwei Veranstaltungen.

Die Firma Mammut wollte mich mit einer Journalisten-Akkreditierung zum eigentlich ausverkauften Eiger-Ultra schicken. Leider war es bei dem kurzfristigen Angebot zu spät zum Höhenmeter-Trainieren.

Gina Pflug hat eine flache Alternative parat. Sie veranstaltet zusammen mit Partner Sven den 1. Dickelsbachmarathon. Auch hier konnte ich mich nicht zu einer spontanen Zusage durchringen, erhielt ich die mündliche Einladung doch gegen Ende des "Bergischen 6h Laufs". Da reichten mir die Kilometer, die ich gerade noch vor der Brust hatte.

Start-/Zielbereich

Aber der Mensch tendiert dazu, Schmerzen ganz schnell zu verdrängen. Also schwinge ich mich heute um 6:30 Uhr auf mein Rad und fahre zum Start nach Ratingen-Lintorf. Achtmal wollen wir am Dickelsbach hin- und durch den Hinkesforst wieder zurückrennen, um auf 43,5 km zu kommen. Wer möchte und kann, darf die sieben Stunden bis zum Zielschluss auch für weitere Kilometer nutzen.

Thorsten Stelter will das tun, um sich auf seinen Spendenlauf von Düsseldorf nach Leipzig vorzubereiten, wo ihn nach 450 km Harald Schmidt in Empfang nehmen soll.

Sven hat die Strecke mit Kreide ausgezeichnet ausgezeichnet. Zwei Wurzeln machen sogar in Neongrün "hervorragend" auf sich aufmerksam. Nur der Pfeil, der den Baum hinauf zeigt, verwirrt mich auf der ersten Runde. Ich sehe von einer Kletterpartie ab, schließlich kenne ich die Strecke durch dieses Flurstück.

Ein Lauf mit Kinderbetreuung - Hengst am Dickelsbach

Der Name "Hinkesforst" bietet sich scheinbar für Kalauer an, als nach ein paar Runden die Sauberkeit des Laufstils nachlässt. In Wirklichkeit hat die Bezeichnung nichts mit einem schleppenden Gang zu tun. Ganz in der Nähe der Laufstrecke steht die Napoleoneiche im Wald und erinnert an die Zeit, als sich der Feldherr hier mit frischen Pferden versorgte. Damals lebten in diesem Gehölz Wildpferde. Deshalb wurde der Wald Hinkesforst genannt, was Hengstwald bedeutet. So jedenfalls berichtete es mir der alte Waldschrat, mit dem ich hier einst durch das Unterholz streifte, während wir uns von frischem Buchenlaub, Brennnesseln und den jungen Trieben der Lärche ernährten.

Heute esse ich nichts davon. Auch das üppige Angebot in Ginas Garage muss bis nach dem Finish warten, denn ich will den Lauf als Nüchternlauf gestalten. Das ist kein großes Problem, habe ich doch am Vorabend reichlich getafelt. Die Kinder wollten den ersten Ferientag mit Lagerfeuer und Stockbrot begehen. Da noch gegrillter Käse vom Freitag übrig war, hatte ich "Mit Grillkäse gefülltes Stockbrot" erfunden - eine sehr sättigende Kreation!

3:51:33 dauert es, bis ich über das üppige Büfett herfallen darf. Zum Nachtisch erfüllt sich ein alter Läufertraum. Ich bekomme eine Urkunde, auf der "Marathon-Gesamt-Sieger" steht!

Mittwoch, 12. Juli 2017

Raubtierangriff und anderes Ungemach

Die große, digitale Temperatur-Anzeige im Ratinger Freibad zeigt 33 Grad Luft- und 28 Grad Wassertemperatur, als ich zu einem speziellen Intervalltraining ausrücke. Zwischen den einzelnen Starts meiner Tochter beim Schwimmwettkampf streife ich durch Ratinger Gehölz.

Für das initiale Intervall stehen die 2,5 Stunden zwischen Einschwimmen und erstem Start zur Verfügung. Der im Bad bewässerte Haarschopf ist schon nach ein paar Hundert Metern wieder getrocknet. Da knallt mir plötzlich von hinten etwas gegen den aufgeheizten Schädel! Es fühlt sich an, als ob mir jemand ein fußballgroßes Stoffknäuel an den Kopf geworfen hätte. Bevor ich noch weiteres Rätselraten anstellen kann, segelt direkt über meinem Scheitel ein Raubvogel mit einer Flügelspannweite von etwa 1,20 m davon, dreht rechts in den Wald ab und verschwindet mit zwei, drei Flügelschlägen. Es dürfte ein Bussard gewesen sein. Ich vermute, der wollte nur spielen! Jedenfalls habe ich keinen Schnabel- oder Krallenkontakt gespürt.


Nach 13 Kilometern erreiche ich unbeschadet, aber doch recht erhitzt, die Gestade der Duisburger Sechs-Seen-Platte. Ich bewässere mich noch einmal gründlich, bevor ich auf gleichem Weg zurückkehre.

An der Sechs-Seen-Platte
Nach wohlwollend-väterlicher Betrachtung des sportlichen Geschehens im Schwimmbecken benetze ich Kopf und Kehle erneut und trete mit frisch gefüllten Wasserflaschen zum nächsten Intervall vor die Tore der Schwimmstätte. Diesmal meide ich das raubtierverseuchte Gebiet und durchkreuze den Ratinger "Oberbusch". Doch auch in diesem, eigentlich idylischen Waldstück, droht Ungemach aus der Luft. Aller 1,5 Minuten überquert ein Flugzeug den Forst im Landeanflug auf Düsseldorf. Das beginnt morgens um 6 Uhr und soll um 23 Uhr mit dem Nachtflugverbot enden. Jedoch gelten etliche Ausnahmeregelungen. Aber so lange will ich ja gar nicht laufen. Mir bleibt nur eine Stunde bis zum zweiten töchterlichen Start. Bei den insgesamt 36,5 erlaufenen Kilometern will ich es dann auch bewenden lassen. Um mich wieder herunterzukühlen, plantsche ich noch etwas im Freibad und überbrücke so die Wartezeiten zwischen den restlichen Schwimmwettkämpfen.

Nachdem ich mich heute so oft und gründlich nass gemacht habe, soll auch die Ausrüstung gewaschen werden. Offenbar hat die Hitze meinem Oberstübchen arg mitgespielt. Als ich später einen Blick auf mein Smartphone werfen will, fällt mir ein, dass es noch in meinem Rucksack steckt. Und der dreht sich munter in der Miele-Trommel! So schnell war ich noch nie im Keller. Während ich ratlos durch das Bullauge in die schäumende Gischt starre, meldet sich der Garmin am Handgelenk. Er hat sich gerade mit dem badenden Handy synchronisiert. Das Smartphone lebt also noch und sendet SOS! Nun ist schnelles Handeln gefragt. Aber wie stoppt man so eine Waschmaschine? Kurzerhand drücke ich den "Tür auf"-Knopf. Überraschenderweise springt tatsächlich die Luke auf und entlässt einen Schwall Seifenschaum. Ich entreiße die Laufweste den Fluten. Das Smartphone steckt, in eine kaputte Zip-Lock-Tüte gehüllt, in der Außentasche. Die Tüte hat ein Loch und der Zipper schließt auch nicht mehr. Dennoch hat die Technik den Kurzwaschgang unbeschadet überlebt.

Ein Wochenende ohne offizielle Laufveranstaltung kann auch ganz erlebnisreich sein.

Montag, 3. Juli 2017

Bergischer 6h Lauf 2017

Bei einem n-Stunden-Lauf gibt es nach der ersten Runde keine großen Überraschungen mehr. Irgendwann schwinden die Kräfte. Und vielleicht ändert sich das Wetter. Ansonsten lebt so ein Wettbewerb von den Begegnungen unterwegs.

Marcel stellt mir Harald vor. Der sei ein ganz krasser Typ.

Marcel: "Harald, wieviel Jahreskilometer hast du so?"
Harald: "Um die 4000."
Ich (vorlaut): "4000 laufe ich auch im Jahr!"
Harald: "Ich meinte, bis jetzt."

Nachdem sich das Gelächter gelegt hat, schildert Harald seinen Tagesablauf. Der sieht in etwa so aus. Nach dem Aufstehen um 2 Uhr läuft er 30 bis 45 km, bevor er zur Arbeit geht. Nach Feierabend kümmert er sich um Haus, Hof und Kinder. Abends radelt er noch 60 km. Sein Trick: "Ich brauche nur 4 Stunden Schlaf."

Das Wetter hat sich übrigens tatsächlich geändert. Der Starkregen hörte schon nach der ersten Runde auf und ging in normalen Dauerregen über. Somit lief manche Dame mit Regenschirm. Es hatten sich dieses Jahr mehr Frauen als Männer angemeldet. Mir schien, eine war sogar geschminkt unterwegs. Ich dusche noch nicht mal vor einem Lauf.

Auch die Kräfte schwanden erwartungsgemäß. Da der Organisator Oliver Witzke wegen akuten Helfermangels um einen Verzicht auf Restmetervermessung bat, ersparte ich mir die letzten 12 Minuten und startete diesmal nicht in eine unvollständige 22. Runde. Mein 60-km-Ziel war mit 60,9 km ohnehin erfüllt.

Zum Abschluss vergnügte ich mich mit zwei nackten Frauen in einem Hotelzimmer. Als diese ihr Bedürfnis gestillt hatten, wurden sie von einem gutaussehenden, jungen Mann abgelöst, der sich sofort stöhnend die schlammigen Kleider vom Leib riss. Der Renndirektor hatte für uns 3 Zimmer im nahen Hotel gemietet. Damit wir dort duschen konnten.

Unten ohne ins Hotel