Dienstag, 6. Februar 2018

Ohne Arschleder zum Hivernaltrail


Erst rennst du, zwei Stufen auf einmal nehmend. Dann reicht die Kraft nur noch für eine Stufe. Und oben musst du gehen. So gestaltete sich der Auftakt zum Hivernaltrail bei meinen letzten Teilnahmen, als es gleich zu Beginn die längste Treppe Hollands am Wilhelminaberg zu erklimmen galt. Diesmal bin ich schlauer und gehe konsequent von unten bis oben. Trotzdem finde ich mich auf der Haldenspitze an dritter Position wieder!


Die letzten Tage hatte ich mich nicht besondes gut gefühlt. Deshalb wollte ich heute den Schonwaschgang einlegen und gemütlich fotografierend dahintraben. Aber die Aussicht auf einen dritten Platz reizt mich jetzt irgendwie doch. Da die beiden Führenden ganz plötzlich aus dem Sichtfeld verschwunden sind, folge ich den neongrünen Pfeilen und staune über die sehr coolen Singletrails. Früher verlief die Strecke anders. Dann kommt mir alles wieder bekannt vor – verdächtig bekannt! Das ist doch der Weg zum Zieleinlauf! Nun ja, diesmal laufe ich ja die 50 km, und nicht die 30. Vielleicht gibt es da eine Einführungsschleife? Schließlich rennen mir ja noch mindestens zwei Andere hinterher.


Nach gut vier Kilometern bin ich wieder am Start, wo sich gerade die Aspiranten der nächsten Distanz unter dem Bogen versammeln. Die Verantwortlichen zeigen wenig Interesse an meinem Missgeschick und dem meiner Nachfolger. Frust! Aber nach vier Kilometern wieder nach Hause zu fahren, ist auch keine Option. Der wahre Ultra nimmt eben erstmal vier Kilometer Anlauf! Auf zur nächsten „Runde“! Oder besser nicht, denn nochmal das gleiche Halden-Disaster tue ich mir nicht an. Früher kam man „hinter“ dem Steinkohle-Abraum-Hügel herunter. Also umlaufe ich den Haldenkegel, sämtliche Beschilderungen ignorierend. Und siehe da, plötzlich kommt mir das Gelände bekannt vor. Zwei späte 50-km-Läufer sind dort auch anzutreffen. Nach deren Aussage gab es allgemeine Wegfindungsprobleme. Nachts habe der Night-Trail stattgefunden und bereits da hätten Jugendliche ein paar Schilder manipuliert.


Ab jetzt weicht das innerliche „Nie wieder Hivernal-Trail“ dem Genießen der genialen Strecke durch lichten Buchenwald und über windige Felder im Flockenwirbel. „Über Felder“ heißt hier: quer über‘s Feld - über ein Feld, das unter Wasser steht. Dagegen wirkt der BaTalU rückblickend wie ein Straßenlauf! Erst taucht der Fuß in die eiskalte Brühe, dann saugt er sich in dem Matsch darunter fest. Das Laufen wird so, nun ja, leicht kräftezehrend. Anstrengend sind auch die kurzen, knackigen Steigungen. In der morgendlichen Anmoderation auf Holländisch hatte ich die Wortgruppe „Deutsche Berg“ herauszuhören geglaubt, als alle sich zum Horizont gewendet hatten, wo eine zweite Halde aufragte. Mittlerweile habe ich das Ungetüm direkt vor der Brust. Die Beschilderung ist tatsächlich in Deutsch: „Aussichtspunkt Gipfelblick“. Nach dem steilen Aufstieg bietet sich eine tolle Fernsicht – auf weitere Halden im ansonsten platten Land. Offenbar befinde ich mich auf der deutschen „Halde Adolf Merkstein“. Der Lauf ist also in jeder Hinsicht ein Grenzgang.


Ein besonders schönes Bächlein mit Mühlen und Wasserschloss ist als „grenzenloses Wurmtal“ beschildert. Trabte man in den Vorjahren im Wesentlichen auf dem Hinweg zurück, so hat man jetzt eine wunderschöne Variante oberhalb etlicher Seen gefunden. Eines der Seegrundstücke wird nicht nur von einem schlossartigen Gebäude geziert, sondern auch von zahlreichen, riesigen Kunstobjekten. Ein Hund in Sauriergröße dreht mir seinen massiven Bronze-Hintern zu.

Während ich von hinten durch die spärliche  Läuferschar trotte, treffe ich auch auf den nackten Mann. Die Kommentare der Umstehenden waren ihm gewiss, als er bei Null Grad in kurzen Hosen und ärmellosem Shirt an den Start trat. Doch dann zündete er die nächste Stufe und zog das Hemd auch noch aus! 


Auf eine finale Bachquerung folgt der letzte Haldenaufstieg. Wenn ich nicht wieder etwas falsch gemacht habe, ist die Wegführung auch hier neu. Wir müssen noch einmal ganz die Halde hinauf, so dass sich letztlich gut 1000 Höhenmeter im Garmin akkumulieren. Böses Déjà-vu? Ich finde mich auf der Route wieder, die ich am Morgen schon einmal zum Ziel gelaufen war. Nur kommen mir jetzt die Single-Trails nicht mehr ganz so cool vor. Mittlerweile haben sie sich in Skipisten verwandelt. Ich stelle mich auf beide Füße und schlittere wie mit Gleitschuhen von Bremsbaum zu Bremsbaum. Es kommt, wie es kommen muss. Ein paar Meter fahre ich die Steinkohleabbau-Halde passenderweise wie ein Bergmann auf seinem Arschleder zu Tale. Nur ohne Arschleder.


Ins Ziel schaffe ich es, nicht aber in die offizielle Ergebnisliste. Bin wohl zu weit gelaufen. 53 Kilometer hat die GPS-Messung aufgezeichnet, als ich nach 5:18:18 meine Medaille umgehängt bekomme.

Dominiert in Deutschland „Erdinger“ die Zielverpflegungsbereiche, so ist es in Holland „Chocomel“. Drei Becher und ich habe alle Kalorien des Laufes wieder rein!


6 Kommentare:

  1. Cooles Teil. Da nimmt man doch gerne erstmal Anlauf um mehr Spaß zu haben

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    1. Jeder gelaufene Kilometer ist ein guter Kilometer!

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  2. Wer will denn auch 50 km laufen? Es müssen schon mindestens 53 km sein :-))))
    3 zum Warmlaufen.
    Mir wird ein wenig kalt um die Brust wenn ích den Nackedei da laufen sehe.
    Aber wahrscheinlich hat der Hitzewallungen ;-)
    Liebe Grüße
    Helge

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    1. Das Weichei hatte beim Zieleinlauf sein Hemd wieder an!

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  3. Oh weh, laufen auf holländisch! Ich wäre furchtbar ungebremst stinkesauer gewesen, bei solch aussichtsreicher Perspektive auf die falsche Fährte geschickt zu werden. Aber Chapeau, Du hast Dir den Spaß nicht nehmen lassen und das Event dennoch genossen. Die Medaille wird sicher einen besonderen Erinnerungswert haben! Glückwunsch zum Finish der persönlichen Prägung!
    Liebe Grüße
    Elke

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    1. Danke, Elke! Ich habe tatsächlich ein paar km gebraucht, um meinen Frieden mit der Situation zu schließen ;-)

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